Hexer-Edition 01: Die Spur des Hexers
viel vorsichtiger und nur mir spitzen Fingern. Diesmal war er auf den Sturm von Gefühlen und Bildern vorbereitet. Trotzdem fiel es ihm schwer, dem grauen Wahnsinn zu entrinnen, der ihn wie mit klebrigen Spinnfäden einzuweben suchte.
Auf dem Korridor wurden plötzlich erregte Stimmen laut; die seines Führers und eine andere, sehr viel energischere, die mit anormaler Lautstärke lospolterte. Andara richtete sich fast überhastet auf und drehte sich gerade noch im richtigen Moment um, um zu sehen, wie die Tür aufgerissen und sein unfreiwilliger Wächter rüde beiseitegestoßen wurde, von einem Mann, der zwar unterdurchschnittlich klein, dafür aber fast ebenso breit wie hoch war, und Andara mit unverholener Wut anstarrte. Sein kleines feistes Gesicht war dunkelrot angelaufen, und der Zorn ließ seinen Atem so schnell gehen, dass er im ersten Moment kaum einen verständlichen Laut hervorbrachte.
»Was … was geht hier vor?«, keuchte er. »Was fällt Ihnen ein, hier einzudringen, Sir?« Er wartete Andaras Antwort nicht ab, sondern fuhr auf den Absätzen herum und ballte kampflustig die Fäuste. »Jenson, sie hirnverbrannter Trottel!«, brüllte er. »Wie oft habe ich Ihnen gesagt, dass niemand -«
»Es war nicht seine Schuld«, unterbrach ihn Andara.
Der Mann brach mitten im Wort ab, fuhr abermals herum und starrte ihn kampflustig an. Seine Kiefer mahlten. »Wer … wer sind Sie?«, fragte er.
»Andara«, stellte sich Andara vor. »Roderick Andara, Sir. Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Mit niemandem«, fauchte der andere. »Es wird nämlich keines, Sir. Ich bin Dekan Wilson, und -«
»Der Dekan dieser Universität?« Andara lächelte. »Das ist gut. So erspare ich mir die Mühe, nach Ihnen suchen zu müssen.« Er lächelte noch freundlicher, trat einen Schritt auf Wilson zu und deutete mit der Spitze seines Spazierstockes erst auf Jenson, der mit sehr unglücklichem Gesichtsausdruck unter der Tür stand und ihn Hilfe suchend anblickte, dann auf Henry, der noch immer zusammengekauert in seiner Ecke saß, aber schon merklich ruhiger geworden war.
»Ich versichere Ihnen noch einmal, Sir«, sagte er, »dass den armen Jenson nicht die mindeste Schuld an meinem Eindringen trifft. Ich habe darauf bestanden, zu Henry geführt zu werden.«
»Wer zum Teufel sind Sie?«, fragte Wilson gereizt. »Ein Arzt? Oder ein Verwandter von ihm?«
»Weder, noch, fürchte ich«, antwortete Andara. »Ich bin … ein Freund eines guten Bekannten des bedauernswerten Professors, dessen Gehilfe der arme Henry ja wohl über längere Zeit war, und als solcher fühlte ich mich verständlicherweise genötigt, zu sehen, was ich für den armen Burschen tun kann.«
Wilson starrte ihn mit offenem Mund an, aber Andara gab ihm keine Gelegenheit, auch nur zu Worte zu kommen, sondern gab sich redliche Mühe, einen semantischen Knoten in seine Gehirnwindungen zu drehen. »Mein Freund – der Bekannte des bedauerlicherweise verschwundenen Professors, Sie verstehen? – erzählte oft von Henry, und auch davon, dass er die Forschungen Langleys nach Kräften fortzusetzen trachtete. Und als ich dann von diesem entsetzlichen Zwischenfall hörte, bin ich natürlich sofort hergekommen.«
»Natürlich«, murmelte Wilson, stutzte, atmete hörbar ein, stemmte zornig die Fäuste in die Hüften und begann zu brüllen: »Was zum Teufel -«
»Ich habe für Henry getan, was ich konnte«, unterbrach ihn Andara, mit leicht erhobener Stimme und einer Betonung, die Wilson vielleicht sehr sonderbar vorgekommen wäre, hätte er noch Zeit gefunden, sich darüber zu wundern.
Aber er hatte sie nicht. Sein geistiger Widerstand zerbrach so schnell wie der Jensons zuvor, und in seinen Augen machte sich die gleiche Leere breit wie in denen des anderen.
»Zeigen Sie mir dir Notizen, an denen Henry gearbeitet hat, als Sie ihn fanden«, verlangte er.
Wilson nickte, wandte sich auf der Stelle um und wollte das Zimmer verlassen, aber Andara hieß ihn noch einmal zu warten und wandte sich an Jenson. »Sie bleiben hier!«, befahl er. »Sie werden in einer Stunde aufwachen und sich weder an meinen Besuch noch sonst etwas von dem erinnern, was hier geschehen ist. Ich konnte nicht viel für Henry tun, aber sie werden feststellen, dass er ruhiger geworden ist. Er wird so bleiben, wenigstens für eine Weile. Sorgen Sie gut für ihn.«
Wilson führte ihn in die Bibliothek der Universität, die für sich allein genommen schon beinahe einen Besuch gelohnt hätte, denn so
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