Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
nicht.
»Gut«, sagte Howard schließlich. »Wir müssen jetzt wieder fort, aber ich sorge dafür, dass der Arzt noch heute Abend zu Ihrer Tochter kommt. Wissen Sie, wo er wohnt, Sean?«
Sean nickte, und Howard deutete mit einer unbestimmten Geste zuerst auf das schlafende Mädchen, dann auf ihn. »Dann gehen Sie hin und holen Sie ihn, Sean. Rowlf, Robert und ich gehen zurück zum Boot.«
»Ich begleite Sie«, sagte Sean. Howard wollte widersprechen, aber diesmal ließ ihn Sean gar nicht zu Wort kommen. »Die Gegend hier ist nicht ungefährlich«, sagte er. »Es ist besser, wenn ich bei Ihnen bin, glauben Sie nur. Und der Arzt wohnt sowieso in der Nähe des Hafens. Es ist kein großer Umweg.«
Howard resignierte. »Meinetwegen«, sagte er. »Aber Sie versprechen uns dafür zu sorgen, dass der Arzt noch heute hierher kommt.«
»Ich schleife ihn an den Haaren her, wenn er nicht kommen will«, versprach Sean.
»Dann lassen Sie uns gehen«, sagte Howard. »Wir haben schon zu viel Zeit verloren.«
Wir verabschiedeten uns von Miss Winden und gingen. So schnell, dass es mir beinahe wie eine Flucht vorkam.
Die Dunkelheit schien sich noch vertieft zu haben, als wir hinter Sean aus dem Haus traten. Nirgends war auch nur der geringste Lichtschein zu sehen und selbst Mond und Sterne hatten sich hinter einer dichten, tiefhängenden Wolkendecke verborgen, aus der feiner Nieselregen auf die Erde fiel. Es war kalt, fast eisig, und der einzige Laut, der zu hören war, war das Winseln des Windes.
Howard schlug demonstrativ seinen Kragen hoch, zog den Hut tiefer in die Stirn und drehte das Gesicht aus dem Regen. Sean deutete wortlos in die Richtung, aus der wir gekommen waren, und ging los. Gebückt und gegen den Wind gebeugt, folgte ich ihm, während Rowlf den Abschluss bildete.
Obwohl Sean kaum mehr als drei Schritte vor mir ging, konnte ich ihn kaum noch erkennen. Die Dunkelheit war so total, dass selbst die Häuser beiderseits der Straße nur noch zu erahnen waren, und der Weg schien kein Ende zu nehmen. Vorhin, als Sean uns hergebracht hatte, war er mir weit vorgekommen; jetzt erschien er mir endlos. Ich hatte das Gefühl stundenlang marschiert zu sein, ehe wir endlich wieder den Hafen erreichten und unser Boot vor uns lag.
Howard blieb stehen und wandte sich zu Sean. »Vielen Dank für die Begleitung«, sagte er. »Aber den Rest des Weges schaffen wir auch allein. Sie gehen besser zurück und holen den Arzt. Und kümmern Sie sich ein bisschen um Miss Winden und ihre Tochter.« Ich sah, wie er in die Tasche griff und Sean etwas gab; vermutlich Geld. Sean bedankte sich mit einem stummen Kopfnicken, wandte sich um und verschwand ohne ein weiteres Wort in der Nacht. Rowlf starrte ihm aus zusammengekniffenen Augen nach. Ich konnte sein Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen, aber ich spürte, dass er dem breitschultrigen Riesen noch immer misstraute. Jetzt vielleicht mehr als zuvor.
Wir beeilten uns, die letzten paarhundert Meter zurückzulegen und auf unser Schiff zu kommen. Das Meer war aufgewühlt; kein flacher grauer Spiegel mehr, sondern ein brodelnder Schaumteppich, der das kleine Boot immer wieder anhob und gegen die Kaimauer drückte. Die Planken waren glitschig vor Nässe, und als ich gebückt durch die niedrige Kajütentür trat, hob eine besonders mächtige Welle das Schiff unter meinen Füßen an, sodass ich um ein Haar kopfüber die Treppe herabgestürzt wäre.
Howard hatte bereits eine Sturmlaterne entzündet, als ich schwankend die schmale Treppe herunterkam. Er stand noch immer in Hut und Mantel da, triefend vor Nässe und sonderbar blass in der rötlichen, flackernden Beleuchtung der Laterne, und als er sich aufatmend umwandte, glaubte ich für einen kurzen Moment einen fast gehetzten Ausdruck auf seinen Zügen zu erkennen. Aber er verschwand sofort, als er bemerkte, dass er nicht mehr allein war.
Ich zog es vor, nicht darauf einzugehen, sondern ging zu meiner Koje, streifte den durchweichten Mantel ab, schlüpfte aus Schuhen und Jacke und nahm eine Decke von meinem Bett, um mich hineinzuwickeln. Howard warf mir ein Handtuch in den Schoß, entzündete eine Zigarre und sah eine Weile schweigend zu, wie ich mit vor Kälte steifen Fingern versuchte mein Haar trocken zu rubbeln. Es war eisig hier drinnen; mein Atem bildete kleine regelmäßige Dampfwölkchen vor meinem Gesicht, und in meinen Fingern und Zehenspitzen begann sich ein schmerzhaftes Prickeln breitzumachen.
Howard schwieg weiter, bis ich
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