Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
Mutter einen wimmernden, halb erstickten Laut aus. Ich hörte Schritte, Geräusche wie von einem Handgemenge, dann einen abgehackten Schrei und Howards beruhigende Stimme, ohne dass ich die Worte verstanden hätte. Ich machte einen letzten Schritt, blieb dicht vor Sally stehen und streckte die Hand aus. Die Bewegung geschah wie von selbst. Ich wusste nicht, warum ich das tat; es geschah fast gegen meinen Willen, als ich ihre Stirn berührte, einen Moment zögerte und dann die ganze Hand gegen ihr Gesicht drückte; den Handballen über ihrem Mund, Zeige- und Ringfinger auf ihren Augenlidern.
Es war, als berührte ich glühendes Eisen. Ein mörderischer Schmerz fraß sich durch meinen Arm und setzte jeden einzelnen Nerv in Brand, aber er erlosch, ehe ich mir seiner richtig bewusst werden konnte.
Dann …
Peitschende Tentakelarme
Hass
Schwarze Finsternis, eine Ebene, die bis ans Ende der Welt und darüber hinausführte
Formlose Scheußlichkeiten, die sich in schwarzen Seen aus brodelndem Teer suhlten
Dunkle, lichtlose Schächte, die ins Herz der Hölle und vielleicht tief er führten
Pestgruben voller gestaltloser Schrecken, aus denen der Odem der Hölle emporweht
Aber auch:
Ein Gefühl des Verlustes, tiefer und schmerzhafter als alles, was ich je zuvor gespürt hatte
Und bodenloser, vernichtender Hass auf alles Lebende, Fühlende, Denkende
Ein Hass, der zweitausend Millionen Jahre gewachsen war, der die Abgründe der Zeit und die Grenzen der Realität überwunden hatte.
Es waren keine Bilder, die ich sah. Keine Gedanken, die ich empfing. Es war keine Form der Kommunikation, wie ich sie jemals zuvor gekannt hatte, sondern etwas vollkommen Fremdes, Bizarres. Für einen Moment, einen winzigen, zeitlosen und doch ewigen Moment nur, schien mein Geist mit dem dieses Dinges in Sally zu verschmelzen, waren wir ein Wesen, das nur noch zufällig in zwei verschiedenen Körpern wohnte. Ich fühlte den Kampf, der tief in meinem Inneren stattfand, kein Ringen unterschiedlicher Kräfte, sondern ein blitzartiges, ungeheures Zusammenprallen zweier diametral entgegengesetzter Pole ungeheurer Macht, ein Gefühl, als explodiere tief in meinem Inneren eine gewaltige, lodernde Sonne, in einem Bereich meiner Seele, der meinem bewussten Zugriff normalerweise auf ewig verschlossen war, aber ich war nicht viel mehr als ein unbeteiligter Zuschauer, macht- und hilflos.
Dann war es vorbei. Der Kampf endete so abrupt, wie er begonnen hatte, und ich fühlte, wie sich das formlose schwarze Etwas zurückzog, mit einem lautlosen Todesschrei. Ich taumelte. Schwäche und Übelkeit verschleierten meinen Blick. Meine Hand löste sich von Sallys Gesicht. Ich wankte, sank kraftlos auf die Knie und kippte zur Seite. Das Zimmer begann vor meinen Augen zu verschwimmen, aber ich sah noch, wie Sallys Körper in Seans und Rowlfs Griff erschlaffte.
Und wie sich etwas Finsteres, Körperloses von ihr löste. Es war wie eine Woge aus reiner Finsternis, ein schwarzes, tentakelarmiges, zerfließendes Ding, das wie Nebel aus ihrem Körper quoll und verging, als es in den Lichtschein der Petroleumlampe geriet.
Dann verlor ich das Bewusstsein.
Tremayn fuhr wie unter einem Hieb zusammen. Ein scharfer, stechender Schmerz zuckte durch seinen Schädel, Krämpfe schüttelten seinen Körper, und vor seinen Augen tanzten Flammen und wogende Schatten; Visionen von unvorstellbarer Fremdartigkeit. Er schrie, verlor auf dem schmalen Stuhl das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Das Zimmer begann sich um ihn herum zu drehen, als versuchten Wände und Boden und Decke, sich aus ihrer Form zu lösen und neu zu gruppieren. Ein helles, grünliches Licht überstrahlte den flackernden Schein der Petroleumlampe und plötzlich war die Luft von einem durchdringenden, fremden Gestank erfüllt, der ihm den Atem nahm.
Nach einer Weile hörten die Schmerzen und Krämpfe auf und Tremayns Atem beruhigte sich wieder. Mühsam stemmte er sich hoch, blieb einen Moment auf Händen und Knien hocken und lauschte angstvoll in sich hinein. Sein Herz raste und trotz der Kälte klebten seine Kleider vor Schweiß. Vergeblich versuchte er zu ergründen, was das gewesen war, was er da gefühlt hatte. Es war wie ein Hieb gewesen, ein blitzschnelles, wütendes Zuschlagen einer unsichtbaren Macht, der gleichen Kraft, deren Anwesenheit er in den letzten zwei Tagen gespürt hatte, das gleiche geistige Flüstern, das ihn bei seinen Studien geführt und geleitet hatte. Es war stärker geworden, im
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