Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser
Ich wechselte den schweren Koffer von der Linken in die Rechte (was nicht viel nutzen würde, denn die beiden Gepäckstücke hatten auf den letzten drei Meilen beständig an Gewicht zugenommen und taten es noch) und betrat das Hotel.
Für einen ganz kurzen Moment spürte ich, wie mein sechster Sinn Alarm schlug. Irgendetwas stimmte hier nicht! Aber dann war das Gefühl wieder verschwunden. Mein Nervenkostüm schien auch nicht mehr das beste zu sein. Die Müdigkeit war wohl daran schuld.
Mit einem erleichterten Seufzer ließ ich die Koffer neben der Tür stehen, schlurfte mit hängenden Schultern zur Rezeption und schlug die Hand auf die kleine Glocke, die auf der zerkratzten Theke stand.
Es dauerte fast eine Minute, bis endlich hinter mir schlürfende Schritte laut wurden. Ich drehte mich herum und sah einen buckeligen, kahlköpfigen Alten, der ohne sonderliche Hast herbeigeschlurft kam.
»Guten Morgen«, sagte ich. »Mein Name ist Craven. Robert Craven. Für mich müsste ein Zimmer in Ihrem Hotel reserviert sein.«
Der Alte sagte nichts, schlurfte nur kopfschüttelnd an mir vorbei und hinter die Theke. Ich sah, dass seine rechte Hand von der Gicht verkrüppelt war und beschloss, ihm seine Unfreundlichkeit nachzusehen.
»Zimmer reservieren wir nicht«, murmelte er unfreundlich. »Aber Sie können eins haben. Für wie lange?« Er bückte sich, holte einen abgewetzten Folianten unter seiner Theke hervor und schlug ihn auf. Die Seiten waren schmutzig und verknickt und mit kleinen Zeilen in einer fast unleserlichen Handschrift übersät.
Mit zitternden Fingern zog er einen Bleistiftstummel hervor, leckte ihn an und blinzelte aus kleinen roten Augen zu mir hinauf.
»Ihr Name?«
»Craven«, wiederholte ich, noch immer um Ruhe und freundliches Auftreten bemüht. »Robert Craven.«
»Roooobeeert Craaaven«, wiederholte der Alte gedehnt und begann etwas in sein Buch zu kritzeln, hielt dann aber inne und blinzelte mich wieder an. »Schreibt sich das mit K oder C?«, fragte er.
»Mit einem C«, erwiderte ich. »Einem großen, wissen Sie?«
Meine Geduld war nach einer durchwachten Nacht und einem Fünf-Meilen-Marsch, bei dem ich noch einen halben Zentner Gepäck hatte mitschleppen müssen, ziemlich erschöpft.
»Ce-er-e-ef-e-en«, buchstabierte der Alte. »Richtig?«
»Nein«, schnappte ich. »Ganz einfach Craven. Wie Raven, nur mit einem C vorne. Der Rabe, verstehen Sie?« Ich starrte ihn böse an, hob die Arme und machte eine flatternde Bewegung.
Aber wenn der Alte meinen Sarkasmus überhaupt begriff – was ich bezweifelte – dann reagierte er nicht darauf. Er zuckte nur mit den Achseln, beendete seine Eintragung und klappte das Buch wieder zu. Dann klaubte er einen Zimmerschlüssel von dem Bord hinter sich und gab ihn mir.
»Zimmer dreihundertdrei«, sagte er. »Im dritten Stock. Die Nummer steht an der Tür. Wenn Sie Frühstück wollen, müssen Sie sich am Abend vorher anmelden. Heute ist’s zu spät.«
Der Gedanke an Frühstück war mir noch nicht einmal gekommen. Alles, was ich wollte, war schlafen. Müde nahm ich den Schlüssel entgegen, wandte mich halb um und deutete auf die beiden Koffer, die neben der Tür standen.
»Mein Gepäck …«
»Müssen Sie schon selbst aufs Zimmer bringen«, unterbrach mich der Alte. »Der Hausdiener ist krank und ich bin zu alt. Und jetzt entschuldigen Sie mich.«
Ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte er sich um und schlurfte gebückt davon.
Ich starrte ihm mit einer Mischung aus Wut und Resignation nach. Howard hatte mich gewarnt, dass die Leute in Arkham seltsam seien und Fremden gegenüber nicht immer sehr freundlich. Aber eine Behandlung wie diese war mir in einem Hotel bislang noch nicht untergekommen.
Also holte ich die Koffer und begann schnaufend – und lautlos in mich hineinfluchend – die steile Treppe hinaufzusteigen.
Die morschen, gefährlich ausgetretenen Stufen ächzten und bebten unter meinem Gewicht, als wolle die gesamte Konstruktion jeden Moment zusammenbrechen, und die Luft roch zunehmend nach Staub und Alter, je höher ich kam.
Das Hotel war sonderbar still. Nicht der geringste Laut war zu hören und viele der Türen standen offen. Die Zimmer dahinter waren leer und unbenutzt.
Als ich das dritte Stockwerk erreicht hatte, war ich vollkommen sicher, dass mir der Alte dieses Zimmer aus purer Gehässigkeit gegeben hatte, nachdem er sah, wie müde ich war und wieviel Gepäck ich schleppen musste. Ich würde mich später
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