Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire
sodass ich der Zukunft wieder mit einem gewissen Optimismus entgegensehen konnte. Da ich bisher nur sinnlos in diesem Labyrinth herumgeirrt war, beschloss ich, mein weiteres Vorgehen genauer zu planen.
Magnus Morjaerd hatte mir klar gemacht, dass es normalerweise keine Chance mehr gab, das Labyrinth je wieder zu verlassen. Wer hineingeriet, wurde von Adurias und dessen Leuten gejagt, schließlich zur Strecke gebracht und seiner Lebensenergie beraubt. Dadurch wurde er selbst ein Teil des Labyrinths und führte ein Schattenleben in seinem Inneren. Das waren herrliche Aussichten: Ich fühlte mich wie eine in der Falle gefangene Ratte.
Aber nein, noch war ich zumindest Herr meiner Entschlüsse. Eine winzige Chance hatte ich noch – und die musste ich nutzen. Wenn Morjaerd Recht hatte, war es anderen schon gelungen, den Kampf mit dem Wesen des Labyrinths aufzunehmen und es zumindest so lange unter Kontrolle zu halten, bis sie ihre Freiheit zurückgewonnen hatten.
Da ich diesen Kampf jedoch nicht aus der Ferne führen konnte, musste ich in das magische Herz des Labyrinths vordringen. Ich wusste nicht, was mich dort erwartete und vor allem nicht, wie ich siegen konnte.
Um dem Monstrum zumindest nicht mit vollkommen leeren Händen gegenübertreten zu müssen, untersuchte ich die magischen Utensilien, die Morjaerd mit sich geschleppt hatte. Sein Stab war ausgebrannt, wie ich mit einem gewissen Bedauern feststellen musste; nur noch ein verkohltes Stück Elfenbein, das mir unter den Fingern zerbröckelte.
Mit dem, was ich sonst in der Tasche fand, konnte ich nichts anfangen. Die Kristalle, Figurinen und Wachsbilder besaßen entweder keine magischen Kräfte, oder vielleicht nur solche, die allein Morjaerd hätte wecken können.
Nur der magische Kompass reagierte auf mich. Ich nahm ihn in die Hand und konzentrierte mich. Sofort spürte ich einen starken Zug in eine bestimmte Richtung und sah die Stele der GROSSEN ALTEN wie einen Scherenschnitt vor meinem inneren Auge auftauchen.
Shannon erstarrte in der Bewegung. Er hatte schon mehrmals miterlebt, wie sich das Labyrinth um ihn herum umschichtete, doch so stark wie diesmal war es noch nie gewesen. Es zog sich zusammen, stülpte sich wie ein Handschuh um, ließ Regionen in sich versinken und brachte andere aus seinen verborgensten Tiefen ans Licht.
Nicht um seiner selbst willen jedoch, das fühlte Shannon ganz deutlich, sondern weil es auf der Jagd war, auf der Jagd nach jemandem, dem es nicht mehr seine Kreaturen, sondern sich selbst entgegenwarf.
Einen Augenblick fürchtete der junge Magier, wieder an den Rand des Labyrinths geschleudert worden zu sein. Doch eine kurze Trance bewies ihm, dass die Veränderungen ihn stattdessen sogar bis fast an das Zentrum herangetragen hatten. Er musste nur noch die langgestreckte, hölzerne Halle durchqueren, deren Rückwand sich mit einem Mal hinter ihm geschlossen hatte.
Es war die seltsamste Halle, die Shannon je zu Gesicht bekommen hatte. Kaum mehr als drei Meter hoch und fünf Meter breit glich sie eher einem langgestreckten Gang, dessen anderes Ende im Halbdunkel versank. Eine Feuergrube, über der Rinder, Schafe und Schweine an eisernen Spießen gebraten wurden, zog sich durch die Mitte der Halle beinahe von einem Ende bis zum anderen. Und um das Feuer herum saßen einige Dutzend wilder Gestalten, die geradezu aus einem Land böser Dschinns zu stammen schienen.
Shannons Blick blieb an wirren blonden Mähnen und roten Bärten hängen, an gehörnten Helmen, riesigen Äxten, Schwertern und Schilden und an Gewändern aus grober Wolle und ungepflegten Pelzen, die zu den muskulösen, narbigen Körpern ihrer Träger passten. Zwischen den Bänken und Tischen liefen große, schmutzige Hunde herum und schnappten nach den Knochen, die die Männer ihnen zuwarfen. Ausgemergelte, armselige Sklaven schleppten berauschende Getränke herein, drehten die Spieße und bedienten ihre barbarischen Herren.
Diese sahen nicht so aus, als würden sie einen ungebetenen Gast willkommen heißen. Shannon, der im Schatten eines mit dämonischen Figuren geschmückten Hochsitzes stand, zerbrach sich den Kopf, wie er ungesehen durch die von Menschen und Hunden wimmelnde Halle schlüpfen konnte. Er vertraute den schwarzen Kräften, die ihm sein Meister übertragen hatte, und war überzeugt, mit diesen Nordlandbarbaren fertig zu werden. Aber er durfte sie nicht an untote Gespenster vergeuden, sondern musste sie für den Feind seines Herrn aufbewahren.
Da
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