Hexer-Edition 06: Die Chrono-Vampire
all die Demütigungen heimgezahlt, die ich im Lauf der Jahre durch ihn erfahren musste. Und dann musste ich natürlich verhindern, dass Ihre wertvolle Lebensenergie an eine so nutzlose Kreatur verschwendet wird.«
»Wollen Sie mich vielleicht selber aussaugen?«, scherzte ich.
»Nein, natürlich nicht!«, antwortete er lächelnd. Doch sein Lächeln gefiel mir nicht. Ich spürte, dass in dem Mann etwas vorging, das sich mit dem Verstand nicht begreifen ließ. Seine blassen Augen wurden dunkel wie die Nacht.
Er schoss so schnell auf mich zu, dass ich nicht mehr ausweichen konnte. Seine Hände packten mich und pressten mich gegen die Wand. Ich sah sein Gesicht dicht vor dem meinen und roch den kalten Moderatem, der aus seinem Mund drang.
»Jetzt ist dein sinnloser Kampf gegen das Labyrinth vorbei, Robert Craven«, sagte er. »Denn ich habe beschlossen, einem neuen Herrn zu dienen: Adurias! Ich will ihm den Wächter ersetzen, den du umgebracht hast. Und du wirst meine Referenz sein, damit er mich nimmt!«
Ich spürte die ungeheure Kraft, die Sten entwickelte, und wusste, dass ich kaum eine Chance gegen ihn hatte. Und doch war es eine andere Situation als bei meinem Kampf mit Croff. Sten besaß nicht die animalische Härte des Wächters und ihm fehlte vor allem die Übung im Kampf.
Ich riss mich mit einer heftigen Bewegung aus seiner Umklammerung frei. Doch bevor ich meinen Stockdegen fassen konnte, war er wieder über mir.
Er täuschte einen Schlag in meinen Magen vor. Meine Hände zuckten unwillkürlich herab, da knallte er mir seine Faust gegen die Schläfe. Dann holte er mich von den Beinen und versuchte sich auf mich zu werfen.
Ich wälzte mich zur Seite, sah die Bodenluke auf mich zukommen und stürzte in die Glockenstube hinab, streifte im Fallen die große Glocke und blieb halb benommen auf dem Bretterboden liegen.
Über mir glitt Arne Sten durch die Luke und sprang mit einem einzigen Satz herab. Irgendwie schaffte ich es, auf die Beine zu kommen und das leicht hin und her schwingende Bronzemaul zwischen ihn und mich zu bekommen.
Wir schlichen mehrmals im Kreis um das Hindernis herum, bis es Sten zu dumm wurde. Grollend packte er den Rand der Glocke und zog ihn auf sich zu. Dann stieß er sie auf mich zu. Ich duckte mich hastig und wich bis zur Wand zurück.
Der Klöppel schlug gegen den Glockenrand. Ein Dröhnen erfüllte die Kammer und hallte von den Wänden wider. Das Geräusch ging mir durch Mark und Bein und ich presste die Hände auf meine Ohren.
Sten hinkte herum wie Quasimodo, stieß die Glocke auf ein Neues an und brachte dann auch eine zweite zum Klingen.
Bei jedem Schlag bohrten sich glühende Drähte durch mein Gehirn und mein Körper vibrierte im Takt der Glocken.
»Geben Sie auf, Craven!« Stens Stimme drang wie ein Wispern durch das wahnsinnige Geläut. Irgendetwas in mir zwang mich zu nicken. Der Däne gab der großen Glocke lachend noch einen kräftigen Stoß.
Ich sah sie auf mich zukommen und krümmte mich in Erwartung des Glockenschlages. Doch da kam mir eine wahnwitzige Idee: Als die Glocke ihren höchsten Punkt erreicht hatte und zurückzuschwingen begann, sprang ich vor und krallte mich an ihren Rand fest. Ich ließ mich von ihr durch die ganze Glockenstube tragen. Sten wurde von meinen ausgestreckten Beinen erfasst, gegen ein Schallloch geschleudert – und flog hindurch.
Ich starrte für den Bruchteil einer Sekunde auf die Öffnung, hinter der vor wenigen Augenblicken noch massiver Fels zu sehen gewesen war, rannte zum Schallloch und steckte den Kopf hinaus.
Wie ein Stein fiel Sten in die Tiefe und schlug zwischen moosbedeckten Grabsteinen auf. Sein Schreien brach abrupt ab. Dann flammte ein kurzer Lichtschein auf und es wurde still dort unten. Die ausklingenden Schläge der Glocken hörten sich auf einmal an wie Totengeläut.
Einen Moment lang blieb ich noch stehen und starrte in die Dunkelheit hinab, dann richtete ich mich auf, ging zurück und konzentrierte mich für eine Weile ganz darauf, mein wie wild rasendes Herz wieder zu beruhigen.
Ich zitterte am ganzen Leib. Stens Hände hatten schmerzende Abdrücke in meinem Fleisch hinterlassen und ich glaubte noch jetzt, die ungeheure Kraft zu spüren, die in dem Körper dieses bizarren, untoten Labyrinthgeschöpfes geschlummert hatte.
Als ich mich etwas erholt hatte, kletterte ich in die Kirchturmkuppel zurück und nahm als erstes meinen Stockdegen wieder an mich. Die Waffe gab mir einen Teil meiner Sicherheit zurück,
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