Hexer-Edition 07: Im Bann des Puppenmachers
entschuldigen Sie die Störung. Vielleicht habe ich mich wirklich in der Hausnummer getäuscht. Es ist lange her, dass ich in Paris war. Au revoir.«
»Au revoir, Monsieur.« Verwirrt blickte der Lakai den beiden Männern nach, die auf dem Absatz kehrt machten und auf die um diese Tageszeit beinahe leere Rue de Gascogne hinaustraten. Von hinten boten ihre so ungleichen Gestalten – der eine ein Kleiderschrank von einem Mann, der andere eine wahre Bohnenstange – einen fast komischen Anblick. Der Lakai begann sich zu fragen, warum er sich jemals vor diesen beiden gefürchtet hatte. Aber als er mit einem Kopfschütteln die schwere, reich verzierte Eichentür wieder schloss, überlief ihn ein merkwürdiger Schauer, der auch nicht vergehen wollte, nachdem er sich ausgiebig an dem Likörkabinett seiner Herrschaften bedient hatte.
Die beiden Männer, das spürte er, waren der Verzweiflung nahe gewesen. Und Verzweifelte taten oft Dinge, die irrational und gefährlich waren.
»Die wievielte Adresse war das?«
Rowlfs grollende Stimme riss Howard Lovecraft aus seinen düsteren Gedanken. Sie waren von der Rue de Gascogne abgebogen und promenierten nun die belebtere Rue de Rivoli entlang. Junge, vorwiegend weiß gekleidete Damen an den Armen ihrer Kavaliere, Kinder in blauen Matrosenanzügen und zart rosa gerüschten Kleidchen, die vornehm herausgeputzt zwischen ihren Eltern von Auslage zu Auslage der teuren Geschäfte stolzierten, zwei- und vierspännig gezogene Kutschen – es war ein Treiben, das das Herz eines jeden Flaneurs höher schlagen lassen musste. Nur Rowlf und er schienen nicht so recht hierher zu passen. Sie waren zu düster für dieses heitere Treiben, zwei schwarze Farbtupfer in diesem hellen Gemisch aus Licht, Luft und den schwerelosen Farben des Sommers.
Aber schließlich war Howard nicht nach Paris gekommen, um den Sommer in dieser ungekrönten Hauptstadt der zivilisierten Welt zu genießen. Er war gekommen, weil er sich einem Gericht stellen wollte, dessen Schergen ihn von Kontinent zu Kontinent verfolgt und zu töten versucht hatten. Aber jetzt, da er an den Ort seiner Aburteilung zurückgekehrt war, wollten sie offensichtlich nichts mehr von ihm wissen.
Seufzend zündete er sich einen neuen Zigarillo an dem alten, fast bis zu den nikotin- und teerverfärbten Fingern heruntergebrannten Stummel an. Er inhalierte tief, bis sein Kopf von einer bläulichen, übel riechenden Wolke eingehüllt war. »Ich verstehe das einfach nicht mehr, Rowlf«, sagte er. »Seit einer Woche klappern wir jetzt alle alten Kontaktadressen ab und überall scheint plötzlich eine Mauer zu sein. ›Nie gehört, den Namen.‹ ›Nein, der ist unbekannt verzogen.‹ ›Monsieur Lasalle? Nein, den gibt es hier nicht, und ich wohne seit zehn Jahren hier.‹ – Es ist zum Verrücktwerden!«
»Stimmt«, pflichtete Rowlf seinem Herrn und Meister bei. Wie immer, wenn sie allein waren, hatte er sein Pidgin-Englisch vergessen und sprach ohne Akzent und auch der dümmliche Ausdruck war von seinen Zügen verschwunden. »Aber wie ich dich kenne, gibst du nicht auf, wie?«
Lovecraft lachte rau, was ihm die verwunderten Blicke einiger Passanten einbrachte. »Nein, Rowlf«, antwortete er. »Natürlich werde ich nicht aufgeben. Aber vielleicht bleibt mir bald nichts anderes mehr übrig. Die Adressenliste wird allmählich kürzer. Offen gestanden weiß ich nur noch eine einzige Möglichkeit, doch noch Kontakt mit meinen ehemaligen Brüdern« – er spie das Wort beinahe aus – »aufzunehmen.«
»Und die wäre?«, fragte Rowlf. Sein Blick spiegelte eine sanfte Sorge. Er hatte bisher kein Geheimnis daraus gemacht, wie wenig er mit dem einverstanden war, was Howard tat.
»Gaspard«, antwortete Howard. »Immer vorausgesetzt, dass er nicht ebenso verschwunden ist wie alle anderen, wäre es mir sehr … unangenehm, zu ihm gehen zu müssen. Aber es scheint, als gäbe es keine andere Möglichkeit mehr.« Er seufzte enttäuscht.
»Warum reisen wir nicht zurück nach London?«, schlug Rowlf vor. »So, wie es aussieht, scheinen sie kein Interesse mehr an dir zu haben.«
Howard nickte böse. »Du drückst es schon ganz richtig aus, Rowlf – so, wie es aussieht.« Er schüttelte heftig den Kopf, trat an den Straßenrand und hielt nach einer Kutsche Ausschau. »Hast du vergessen, was in London passiert ist?«, fragte er. »DeVries kam nicht aus freien Stücken. Ich kann es nicht riskieren, dass noch mehr Unschuldige meinetwegen in Gefahr
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