Hexer-Edition 07: Im Bann des Puppenmachers
Er schnaubte. »Wenn du gekommen bist, um sie zu sehen, hast du den Weg umsonst gemacht. Sie will dich nie wiedersehen. Und ich auch nicht.«
»Ich bin nicht ihretwegen hier«, murmelte Howard. »Ich versuche seit einer Woche, Kontakt mit dem Orden aufzunehmen. Bisher ist es mir nicht gelungen.«
»Und jetzt glaubst du, ich könnte dir dabei helfen?« Gaspard lachte hart. »Wenn das alles ist – warte.« Er drehte sich um, verließ den Raum durch eine Seitentür und kam kaum eine Minute später zurück, ein kleines, in braunes Papier eingeschlagenes Päckchen unter dem Arm.
»Was ist das?«, fragte Howard verwirrt, als Gaspard ihm das Paket entgegenhielt.
»Woher soll ich das wissen?«, schnappte Gaspard. »Es wurde für dich abgegeben, vor ein paar Tagen.«
Howard griff zögernd nach dem zigarrenkistengroßen Päckchen. »Abgegeben?«, vergewisserte er sich. »Von wem?«
»Einem Fremden«, antwortete Gaspard. »Einem Mann, den ich vorher nie gesehen habe. Er hat mir fünfhundert Francs gegeben und das Päckchen.« Sein Gesicht verzog sich, als spräche er über eine Obszönität. Plötzlich griff er in die Innentasche seines abgewetzten Rockes, zog ein zusammengefaltetes Bündel Geldscheine hervor und schleuderte es Howard vor die Füße. »Das sind die fünfhundert Francs«, sagte er angewidert. »Nimm sie und gib sie ihm wieder. Ich will nichts, was irgendwie mit dir zu tun hat, behalten. Er sagte, du würdest kommen und es holen!« Er wartete, bis Howard das Päckchen an sich genommen hatte, dann deutete er mit einer Kopfbewegung zur Tür.
»Aufmachen kannst du es draußen«, sagte er kalt. »Geh. Und komm nicht wieder!«
Eine endlose Sekunde lang starrte Howard den grauhaarigen Franzosen noch an, dann drehte er sich auf dem Absatz herum und stürmte aus dem Laden, so schnell, dass Rowlf Mühe hatte, überhaupt mit ihm Schritt zu halten.
Der Aufprall hatte mir das Bewusstsein geraubt, aber es konnte kaum mehr als eine Minute vergangen ein, denn das Erste, was ich wahrnahm, war das schrille Pfeifen der Lokomotive. Sekundenlang blieb ich reglos liegen und wartete darauf, dass der hämmernde Schmerz in meinem Hinterkopf nachließ, dann öffnete ich die Augen, erkannte einen Ausschnitt regengrauen Himmels über mir und fand mich langsam mit der Tatsache ab, noch am Leben und – wenigstens einigermaßen – unverletzt zu sein.
Mühsam richtete ich mich auf. Das quälende Hämmern in meinem Schädel ließ rasch nach, aber in meinem Körper schien kein einziger Muskel zu sein, der nicht irgendwie geprellt, gestaucht oder überdehnt war. Als ich versuchte, mich auf Händen und Knien zu erheben, unterdrückte ich nur mit Mühe einen Schmerzensschrei.
Dabei hatte ich noch Glück gehabt. Ich war nicht direkt auf den schotterbestreuten Bahndamm geprallt, sondern ein Stück weit die Böschung hinabgerollt, ehe ein Busch meinen rasenden Sturz gebremst und mich vermutlich vor einigen üblen Knochenbrüchen oder Schlimmerem bewahrt hatte. Wenn ich, von den zahllosen Kratzern und Abschürfungen an meinen Händen und dem Gesicht absah, schien ich fast unverletzt zu sein.
So unverletzt, wie man eben ist, wenn man von einem mit voller Geschwindigkeit dahinpreschenden Eisenbahnzug springt …
Irgendwo, sicher schon eine oder zwei Meilen von mir entfernt, pfiff die Lokomotive ein weiteres Mal und der Laut erinnerte mich daran, dass ich einen triftigen Grund gehabt hatte, vom Dach des Waggons zu springen. Ich bog die Zweige des Busches auseinander, sah mich sichernd nach beiden Seiten um und trat dann vollends aus meiner Deckung hervor. Mühsam und noch immer unsicher auf den Beinen, erklomm ich die Böschung, sah noch einmal nach beiden Seiten und bewegte mich auf die Brücke zu. Ich war nicht sehr weit von der Stelle entfernt, an der sie sich über die Gleise spannte – zwanzig, vielleicht dreißig Yards. Weniger als eine Sekunde bei der Geschwindigkeit, die der Zug gehabt hatte. Der Gedanke ließ mich frösteln. Eine Sekunde … Wenn ich auch nur um eine Winzigkeit zu spät reagiert hätte …
Mein Blick tastete über das regennasse Gras der Böschung, fand einen niedergewalzten Busch und folgte der Spur aus aufgewühltem Erdreich und entwurzelten Sträuchern, die sich fast zwanzig Schritt weit die Böschung hinabzog. Einen Moment lang ergriff mich eine fast absurde Angst, dass sich die Böschung bewegen und Eisenzahn in alter Mordlust auftauchen könnte, aber ich vertrieb den Gedanken und nannte mich im Stillen
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