Hexer-Edition 07: Im Bann des Puppenmachers
sich eine Tür und ein weiterer Zuschauer trat auf den Rang hinaus und jedesmal fuhr Howard herum und musterte den Neuankömmling mit einer Mischung aus Furcht und banger Erwartung.
Schließlich änderte sich etwas im Raunen der Menschenmenge unter ihm und als Howard aufsah, begann das Licht allmählich dunkler zu werden, gleichzeitig ertönten aus dem Orchestergraben die ersten Takte der Ouvertüre. Sekunden später öffnete sich der Vorhang und gab den Blick auf eine phantastische Bühnendekoration frei. Howard wurde sich beinahe schuldbewusst darüber klar, dass er nicht einmal wusste, welches Stück heute gespielt wurde.
Aber schließlich war er nicht hier, um eine Opernpremiere zu genießen. Während sich rings um ihn herum die anderen Gäste in ihren Sitzen zurücksinken ließen, beugte sich Howard weiter vor, blickte einen Moment lang konzentriert auf die Bühne herab und hob schließlich das Opernglas an die Augen.
Obwohl es sehr klein war, erwies es sich als erstaunlich gut. Howard betrachtete einen weiteren Moment lang die Bühne, richtete sich dann ein wenig auf und ließ seinen Blick über die in vier übereinander liegenden Reihen angeordneten Balkone schweifen, die den Zuschauerraum an beiden Seiten säumten. Die Gesichter in den kleinen Separees schienen plötzlich zum Greifen nahe; Gesichter von Männern und Frauen der guten und besten Gesellschaft, alte und junge, hübsche und hässliche und …
Der Anblick traf ihn wie ein Fausthieb.
In der ersten Sekunde glaubte er es nicht. Etwas in ihm sträubte sich mit aller Gewalt dagegen, das Bild als das anzuerkennen, was es war, aber er wusste auch im gleichen Moment, dass es keine Illusion sein konnte.
Er kannte dieses Gesicht zu gut, um sich zu täuschen.
Die dunklen, scheinbar grundlosen Augen, die dem schmalen Gesicht einen leicht exotischen Ausdruck verliehen, der sinnliche Mund, der immer zu einem sanften, spöttischen Lächeln bereit zu sein schien, der freche schwarze Haarschopf, der sich jedem Versuch, ihn zu einer Frisur zu ordnen, widersetzte …
Nein – er kannte dieses Gesicht zu gut, um sich zu täuschen.
Seine Hände begannen zu zittern und mit einem Male spannten sich seine Finger so fest um das Glas, dass das kleine Instrument hörbar knirschte.
»Ophelie!«, flüsterte er. »Mein Gott!«
Der Mann zu seiner Rechten sah strafend auf, aber Howard merkte es nicht einmal. Sein Blick saugte sich an dem blassen Mädchengesicht fest, das in der Optik seines Glases erschienen war wie eine Vision aus einer längst vergangenen Zeit. Dann bewegte sich ein Schatten, ein Stück hinter und neben dem Antlitz Ophelies und ein zweites Gesicht erschien im Sichtfeld des Glases. Das Gesicht eines schlanken, dunkelhaarigen Mannes mittleren Alters, beherrscht von einem Paar nachtschwarzer stechender Augen und einem sorgfältig ausrasierten Kinnbart.
Howard schrie auf. »Nein!«, keuchte er. »Nicht … nicht das! So grausam können sie nicht sein!«
Aber dann bewegte sich der Mann und als Howard seinem Blick begegnete, wusste er, dass sie es konnten.
Und plötzlich wusste er auch, warum er hier war.
Und wie seine Strafe aussehen würde.
Seine Hand schloss sich so fest um das Glas, dass die beiden Objektive klirrend zerbarsten.
Es musste auf Mitternacht zugehen, als ich Paris erreichte. Die Straßen der Millionenstadt waren verlassen und das Kopfsteinpflaster glänzte vor Nässe. Über dem Zentrum der Stadt, noch Meilen entfernt, schien eine pulsierende Glocke aus Licht zu schweben und das Geräusch des klapperigen Fuhrwerkes, auf dem ich die letzten zwanzig Meilen zurückgelegt hatte, wurde von den Häusern rechts und links der Straße unheimlich verzerrt zurückgeworfen. Während der letzten zehn Minuten hatte sich der zweispännige Karren am Ufer der Seine entlanggequält, aber alles, was ich von diesem berühmten Fluss wahrgenommen hatte, war ein schwarzer Graben, der die Stadt in zwei Hälften zu teilen schien, und dann und wann ein leiser Geruch nach fauligem Wasser. Wie immer sich das Viertel von Paris nannte, in dem wir waren – es schien nicht unbedingt zu den vornehmsten Gegenden der Stadt zu gehören.
Das Fuhrwerk hielt mit einem letzten Schaukeln und der Kutscher drehte sich zu mir herum. »Wir sind da, Monsieur«, sagte er. »Rue de la Provence.« Er nickte bekräftigend, deutete mit dem Stiel seiner Peitsche über den Fluss und fügte hinzu: »Ich hab’ extra einen Umweg gemacht, damit Sie nicht so weit laufen müssen. Ist
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