Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexer-Edition 08: Engel des Bösen

Hexer-Edition 08: Engel des Bösen

Titel: Hexer-Edition 08: Engel des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
nagte.
    Dann hörte ich die Schritte.
    Sie waren nicht sehr laut und es waren die Schritte eines Menschen, der sich mit großer Eleganz zu bewegen vermochte. Ich wusste, wen ich erblicken würde, noch bevor ich mich umdrehte und in das schmale, von dunklem Haar eingerahmte Gesicht des Mädchens blickte.
    »Sie hätten nicht kommen sollen, Robert Craven«, sagte Cindy.
    Ich wollte antworten, aber in meinem Mund war plötzlich bitterer, nach Galle schmeckender Speichel und ich musste ein paar Mal hintereinander schlucken und tief einatmen, um mich nicht zu übergeben.
    Sie war so schön wie das Bild, das ich in meinen Visionen von ihr gesehen hatte: schlank bis an die Grenzen der Zerbrechlichkeit, feingliedrig und elegant wie eine Statue aus Glas. Ihr Gesicht war wie das eines Engels.
    Und so kalt wie Eis.
    »Warum?«, flüsterte ich kraftlos. »Warum mussten Sie diesen harmlosen alten Mann umbringen?«
    Zwischen den Brauen des Mädchens entstand eine dünne, senkrechte Falte. »Er war ein alter Narr«, sagte sie kalt. »Er hat versucht, sich gegen mich zu stellen. Genau wie Sie, Craven.« Sie schüttelte den Kopf. »Warum haben Sie meine Warnungen missachtet, Robert?«, fragte sie.
    Ich antwortete nicht, sondern stand nach einem weiteren, ängstlichen Blick auf die Ratten vollends auf, nahm auch meinen Stockdegen wieder an mich und schob ihn in seine Hülle zurück. Meine Wade schmerzte so stark, dass ich kaum stehen konnte.
    »Warum sind Sie gekommen, Robert?«, fragte Cindy noch einmal.
    »Warum?« Ich versuchte zu lachen, brachte aber nur einen krächzenden Laut zustande. »Warum haben Sie mich von Ihren Bestien herlocken lassen, wenn Sie nicht wollten, dass ich komme? Spielen Sie keine Spielchen mit mir, Cindy oder wer immer Sie sind.« Ein absurder Trotz machte sich in mir breit und ich fügte wider besseren Wissens hinzu: »Meinetwegen bringen Sie mich um wie diesen armen Teufel da, aber behandeln Sie mich nicht wie einen Trottel.«
    »Gerufen?« Das Mädchen mit Cindys Gesicht – irgendetwas in mir sträubte sich dagegen, sie auch nur in Gedanken Cindy zu nennen, denn ich spürte genau, dass ich alles andere als einen Menschen vor mir hatte – sah mich fragend an. »Niemand hat Sie gerufen, Robert. Im Gegenteil. Ich habe Ihnen mehr als eine Warnung zukommen lassen, sich aus dieser Angelegenheit herauszuhalten. Was haben Sie damit gemeint – gerufen?«
    Verwirrt blickte ich erst sie, dann die quirlende Rattenarmee und dann wieder sie an. Eine dumpfe Ahnung stieg in mir empor, ohne dass ich das Gefühl zu diesem Zeitpunkt bereits in Gedanken fassen konnte. Für einen kurzen Augenblick glaubte ich noch einmal die Ratte zu sehen, die Kilian und mich hierher begleitet hatte. Irgendetwas war an ihr gewesen, das sie von den graubraunen Tieren unterschied, die die Straße wie ein lebender Teppich bedeckten. Aber ich wusste nicht zu sagen, was. Noch nicht.
    »Reden Sie!«, sagte das Mädchen. Ihr Engelsgesicht verdunkelte sich vor Zorn.
    Ich tat das Einzige, was mir übrig blieb – ich schwieg verstockt und nach einer Weile gab die Fremde mit einem resignierenden Seufzer auf. »Wie Sie wollen, Robert«, sagte sie. »Es spielt auch keine Rolle mehr. Sie haben meine Warnung missachtet und müssen die Folgen tragen.«
    »Wollen Sie mich Ihren Bestien zum Fraß vorwerfen?«, fragte ich trotzig.
    Cindy blickte mich mit einem fast mitleidigen Blick an. »Sie sind so dumm, Robert«, sagte sie bedauernd. »So furchtbar dumm. Warum konnten Sie nicht einfach in London bleiben und -«
    »Und Lady Audley ihrem Schicksal überlassen?«, unterbrach ich sie. »Oder genauer gesagt – Ihrer Willkür?«
    Seltsamerweise reagierte das Mädchen nicht zornig, wie ich halbwegs erwartet hatte, sondern im Gegenteil eher traurig. Sekundenlang blickte sie mich aus ihren großen, grundlosen Augen an, dann deutete sie auf das Haus direkt hinter mir. »Gehen Sie, Robert.«
    Ich gehorchte. Flankiert von annähernd zweihundert Ratten überquerte ich die Straße, stieß die Tür auf und trat gebückt in den einzigen Raum des kleinen Hauses.
    Der Anblick, der sich mir bot, ließ mich frösteln. Das Zimmer war so, wie ich es erwartet hatte – ärmlich eingerichtet und nicht sonderlich sauber. Überall waren Ratten und der Gestank der Tiere hing wie eine Pestwolke in der Luft und nahm mir fast den Atem.
    Und auf einem Stuhl an der Rückseite des Zimmers saß Lady Audley. Ihr Gesicht war bleich wie Kalk, aber sie war bei Bewusstsein und schien –

Weitere Kostenlose Bücher