Hexer-Edition 08: Engel des Bösen
und zurücktrug.
Diesmal dauerte es endlos. Wie zuvor hatte ich das Gefühl, keinen Körper mehr zu haben, bloß noch Geist und vielleicht nicht einmal mehr das zu sein. Aber anders als bei den Toren, die ich zuvor benutzt hatte, spürte ich das Verstreichen der Zeit wie das ruhige Dahinfließen eines mächtigen, tiefen Stromes. Jahrhunderte glitten an mir vorüber wie Sekunden, Jahrtausende wie Tage, schließlich Jahrmillionen, Ewigkeiten …
Irgendwann war es vorbei und aus dem Nichts wurde wieder grauer Nebel. Ich spürte die Berührung warmer Luft wie das Streicheln einer trockenen Hand und kurz darauf war unter meinen Füßen wieder fester Boden.
Mit einem erleichterten Seufzen taumelte ich nach vorne, ließ mich auf die Knie sinken und sah zurück. Der Kreis aus grauem Nebel, aus dem ich hervorgetreten war, begann bereits zu zerfasern.
Was immer auf der anderen Seite des Tores sein mochte, würde mir jetzt nicht mehr folgen können. Ich war in Sicherheit.
Minutenlang hockte ich einfach da, presste die Lider aufeinander und genoss das Gefühl, noch am Leben zu sein. Erst dann wagte ich es, die Augen wieder zu öffnen und mich umzusehen.
Es war ein bedrückender Anblick.
Ich hockte dicht vor einer schier himmelhohen, senkrechten Wand aus grauem Basalt. Und rechts und links hinter mir erstreckte sich die ödeste Landschaft, die ich jemals erblickt hatte. Es war eine Ebene, so flach wie ein Brett und von einer fast weißen, unglaublich heiß vom Himmel brennenden Sonne seit Ewigkeiten ausgedörrt, denn der Boden war überall gerissen. Es gab vereinzelte Flecken von dornigem Grün, aber die schienen die Lebensfeindlichkeit meiner Umgebung eher noch zu betonen.
Ich schauderte. Wo immer ich war – es war nicht mehr die Welt, die ich kannte.
Langsam stand ich auf, wischte mir den Schweiß von der Stirn und sah mich aufmerksam nach allen Seiten um. Von Lady Audley und Shadow war keine Spur zu entdecken, aber ich spürte, dass sie irgendwo in meiner Nähe waren. Wie zuvor hatte ich Shadows Anwesenheit gefühlt, als ich das Tor benutzte.
Mein Blick tastete aufmerksam über die Steilwand. Sie war nicht ganz so massiv, wie es im ersten Augenblick ausgesehen hatte, sondern wies zahllose Risse und Spalten auf, ein wenig links von mir gar eine Bresche, die groß genug gewesen wäre, einem Elefanten Durchlass zu gewähren. Vielleicht waren Lady Audley und Shadow auf der anderen Seite dieser gewaltigen Felsbarriere aus dem Nichts getreten.
Ich machte einen Schritt auf den Felsdurchlass zu, gewahrte eine Bewegung schräg hinter mir und blieb stehen, um mich herumzudrehen.
Dann sah ich, was hinter mir war. Eine halbe Sekunde lang blieb ich stehen, starrte den Koloss an und fragte mich allen Ernstes, ob ich verrückt geworden war. Aber dann begann die Erde unter meinen Füßen in rasendem Takt zu vibrieren und ich erwachte aus meiner Erstarrung, fuhr herum und begann zu rennen, so schnell wie noch nie zuvor in meinem Leben.
So schnell, wie man eben rennt, wenn man von einem leibhaftigen Tyrannosaurus Rex verfolgt wird …
Das Ungeheuer stampfte heran – ein Berg aus Fleisch und Zähnen und grauen Panzerplatten. Die dreifingrigen, krallenbewehrten Pranken waren gierig ausgestreckt und das gewaltige Maul klappte auf und zu wie eine überdimensionale Bärenfalle. Unter den Schritten des Giganten bebte die Erde und in seinen kleinen, seelenlosen Augen loderte das einzige Gefühl, zu dem ein Koloss wie er überhaupt fähig war: Hunger. Und die Beute, mit der dieser Tyrannosaurus seinen Hunger zu stillen gedachte, war ich …
Ich rannte wie niemals zuvor in meinem Leben. Trotzdem schien die rettende Felswand einfach nicht näher zu kommen und der Boden unter meinen Füßen bebte mit jeder Sekunde stärker. Ich bildete mir fast ein, den fauligen Atem der Bestie bereits wie eine klebrige Hand im Nacken zu spüren. Das Ungeheuer bewegte sich alles andere als elegant, sondern stapfte mit plumpen, ja beinahe schwerfälligen Schritten hinter mir her; aber für jemanden mit Schuhgröße zweihundertdreißig – hätte er Schuhe getragen – war es auch nicht nötig, sich schnell zu bewegen. Obwohl ich wie von Sinnen rannte und mir vor Anstrengung schier die Lungen zu platzen schienen, schrumpfte die Entfernung zwischen uns mit jedem Schritt weiter.
Ich wusste, dass ich es nicht schaffen würde.
Der Tyrannosaurus Rex stieß einen schrillen, triumphierenden Schrei aus, hob den Schwanz und kippte gleichzeitig im
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