Hexer-Edition 09: Dagon - Gott aus der Tiefe
mit Zauberei bezeichnet hätten. Mühsam riss ich mich von dem gleichzeitig erschreckenden wie faszinierenden Bild am Ufer des Sees los, sah Frane einen Moment lang an und blinzelte dann zum Gut hinauf, das in der immer dunkler werdenden Nacht wie ein massiger Schatten über dem See thronte. Bisher hatte ich das Gebäude immer nur im Dunkeln zu Gesicht bekommen. Ich fragte mich, wie es wohl bei Tageslicht aussehen würde. Wahrscheinlich ganz normal. Der wahre Schrecken verbirgt sich meist hinter der Maske des Normalen.
»Gehen wir?«, fragte Frane. Er wirkte nervös, was ich gut verstehen konnte. Nach allem, was er mir erzählt hatte, hatte er allen Grund, nervös zu sein. Ich allerdings auch.
Ich nickte auf seine Frage, stand auf und verhielt dann noch einmal mitten in der Bewegung. Irgendetwas hatte sich geändert an der Szene unten am Ufer.
»Warten Sie noch«, sagte ich. Frane nickte nervös und sah wieder zum Gut hinauf. Er schien etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber doch. Er konnte mir gar nicht widersprechen, selbst wenn er es gewollt hätte. Aber das wusste er nicht. Und bei seinem Intelligenzquotienten würde es auch noch eine ganze Weile dauern, bis ihm auffiel, dass ihm selbst der größte Blödsinn, den ich von mir gab, einleuchtend erschien.
Und so genau wusste ich selbst nicht, was ich überhaupt dort oben im Gut zu finden hoffte. Frane war sehr redselig geworden, nachdem ich ein wenig nachgeholfen hatte, aber er war nur ein kleiner Handlanger, dem man offenbar nur gesagt hatte, was er unbedingt wissen musste, und das war nicht viel. McGillycaddy hatte ihm aufgetragen, bis zum Sonnenaufgang auf Several aufzupassen; dann würde er zurückkommen und sie alle zum Strand führen. Was sie dort unten tun sollten, wusste Frane allerdings nicht, und nachdem ich mich eine Weile mit ihm unterhalten hatte, konnte ich McGillycaddy sogar verstehen. Jemandem wie Frane hätte ich allerhöchstens die Uhrzeit anvertraut. Vielleicht.
Aber das Gut war der einzige Ort, an dem ich überhaupt ansetzen konnte. Die einzige Alternative dazu war, noch einmal in diesen verfluchten See hinabzutauchen – und mir fielen auf Anhieb ungefähr zehntausend Dinge ein, die ich lieber getan hätte.
Ich blickte wieder auf den See hinab. Diesmal war ich sicher, dass ich eine Bewegung gesehen hatte.
In der Mitte des riesigen, blass silbernen Spiegels begann sich das Wasser zu kräuseln, zuerst langsam, dann stärker und stärker, bis die Oberfläche des Sees zu Millionen blitzender Spiegelscherben zerbrochen war. Dann erschien der Schatten.
Es war mir unmöglich, ihn zu beschreiben. Es war ein … ein Ding, groß, monströs und missgestaltet, ein Gigant ohne klar umrissene Form. Wie ein Berg wuchs er aus den schäumenden Wogen empor, bäumte sich zu ungeheurer Größe auf und fiel mit einem urgewaltigen Rauschen wieder zurück. Eine gewaltige, weiß gekrönte Woge breitete sich kreisförmig von der Mitte des Sees her aus und brach sich klatschend an den Ufern.
»Gott!«, keuchte Frane neben mir. »Wass issn das?«
»Halten Sie den Mund«, sagte ich alarmiert. Frane nickte geflissentlich und schwieg. Fast tat er mir Leid.
Das Ding war wieder so weit ins Wasser gesunken, dass es nur als monströser Schatten zu erkennen war. Es war riesig, größer als ein Wal, und schien in beständiger fließender Bewegung, als wäre es in Wahrheit nur eine Wolke aus zerfließendem Grau, die sich rein zufällig zu dieser Form zusammengeballt hatte. Dann teilte es sich.
Es sah aus wie das Teilen einer ins Absurde vergrößerten Amöbe. Ein Teil der zerfaserten Schwärze trennte sich von der gigantischen Hauptmasse ab und begann, pulsierend wie ein bizarres schlagendes Riesenherz, auf das Ufer und den Scheiterhaufen zuzugleiten.
»Er kommt!«, kreischte eine Stimme unter mir. »Unser Herr hält sein Versprechen. Er schickt uns seinen mächtigsten Diener, um uns zu zeigen, wie gewaltig seine Macht ist.«
»McGillycaddy!«, keuchte Frane. »Das ist McGillycaddy. Sehen Sie!«
Ich versuchte es, aber gegen den gelborange leuchtenden Hintergrund des Scheiterhaufens war die Gestalt des Schotten nur als Umriss zu erkennen. Trotzdem konnte ich ein Schaudern nicht unterdrücken, als ich ihn dort unten stehen sah; mit hoch erhobenen Armen und gespreizten Beinen, einem dämonischen Priester bei einer urtümlichen Beschwörung gleich.
Aber vielleicht war der Unterschied gar nicht so groß.
Langsam kam der monströse Schatten näher. »Seht!«, brüllte
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