Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft
wie schlagenden oder stolpern lassenden Schatten bestand. Shannon hatte mir ein halbes Dutzend Mal aufhelfen müssen, weil ich gestürzt war, und einmal war ich geradewegs vor einen Baum gerannt und hatte mir den Schädel blutig geschlagen. Wie Shannon das Kunststück fertig brachte, bei der herrschenden Dunkelheit nicht die Orientierung zu verlieren, war mir ein Rätsel.
»Sie kommen«, erklang die Stimme des jungen Magiers links von mir und ich schrak abrupt aus meinen düsteren Überlegungen hoch. Vorsichtig richtete ich mich hinter dem stacheligen Busch auf, den ich mir sinnigerweise als Deckung auserkoren hatte und der mir seit einer Viertelstunde das Gesicht und die Hände zerkratzte, und lugte aus zusammengekniffenen Augen über die Lichtung.
Ich sah absolut nichts, aber das war auch nicht weiter verwunderlich: Was Shannon in einem Anfall von mir unverständlichem Humor als Lichtung bezeichnet hatte, war nichts als ein runder Platz von vielleicht dreißig Schritten Durchmesser, auf dem keine Bäume und kaum Unterholz wuchsen; was die Urwaldriesen nicht daran hinderte, ihre Kronen über unseren Köpfen wie laubbewachsene Finger ineinander zu krallen, sodass es hier unten so pechschwarz war wie im eigentlichen Dschungel.
Nun, zumindest wusste ich, worauf wir warteten. Shannon hatte mir seinen Plan erklärt. Und er war so einfach wie verzweifelt. Wir beide allein hätten in hundert Jahren keine vernünftige Chance, Dagon aufzuhalten, geschweige denn, ihn zu besiegen. Wir brauchten Unterstützung. Und die einzige Hilfe, auf die wir hoffen konnten, waren die Eingeborenen Krakataus. Das hieß, wenn sie uns nicht kurzerhand die Köpfe abschnitten oder andere unerfreuliche Dinge mit uns taten.
Auf der anderen Seite der Lichtung raschelte etwas im Unterholz und einen Moment später glaubte ich einen kleinen, gedrungenen Körper zu erkennen, der sich behutsam durch das Dornengestrüpp schob. Instinktiv senkte ich die Hand zum Gürtel und umklammerte den Griff des Buschmessers, das ich in Eldekerks Haus gefunden und mitgenommen hatte.
»Das würde ich nicht tun, Robert«, sagte Shannon ruhig. »Sie sind sehr misstrauisch. Du darfst sie nicht reizen.«
»Sie sehen es ja nicht«, knurrte ich.
Shannon lachte ganz leise. »Warum wirfst du nicht einen Blick nach hinten, ehe du weitersprichst?«, fragte er.
Ich gehorchte – und zog die Hand so rasch vom Griff des Buschmessers, als hätte ich sie mir verbrannt.
Um uns herum herrschte beinahe undurchdringliche Finsternis. Aber so dunkel die Nacht war, reichte das bisschen verbliebene Helligkeit doch aus, die vier kleinwüchsigen Gestalten zu erkennen, die mich in kaum einem Meter Abstand umringten. Zwei von ihnen zielten mit Bögen auf mich, die ein gutes Stück größer waren als ihre Besitzer.
»Sie beobachten uns schon seit einer halben Stunde«, sagte Shannon ruhig. »Keine Sorge. Wenn Sie uns umbringen wollten, wären wir längst tot. Aber sei vorsichtig, wenn du aufstehst.«
Ich bedankte mich für seinen guten Rat mit einem gifttriefenden Blick, hob vorsichtig die Arme in Schulterhöhe und stand ungeschickt auf. Die beiden Bögen folgten meiner Bewegung mit der Sturheit lauernder Schlangen.
Shannon trat langsam an meine Seite und hinter ihm wuchs ein weiteres halbes Dutzend Majunde-Krieger aus der Nacht. »Lass mich reden«, wisperte Shannon. »Ich spreche ihre Sprache.«
»Gibt es irgendetwas, was du nicht kannst?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete Shannon ernsthaft. »Kochen.« Er grinste, wurde übergangslos wieder ernst und trat dem vordersten Eingeborenen einen halben Schritt entgegen, blieb aber sofort wieder stehen, als dieser drohend seinen Bogen hob.
»Tiagunge«, begann Shannon »Owagi chai –«
»Brechen Sie sich nicht die Zunge ab, Mister«, sagte einer der Eingeborenen. »Ich spreche Ihre Sprache.«
Shannon brach verblüfft ab. »Wer sind Sie?«, fragte er, an den Mann gewandt, der zwischen den anderen hervorgetreten war. Er war der Einzige, der keine Waffen trug, wie mir jetzt auffiel.
»Mein Name ist Yo Mai«, antwortete der Majunde. »Sind Sie Shannon?«
Shannon nickte. Auf seinem Gesicht machte sich ein deutlicher Ausdruck von Erleichterung breit. »Sie haben mit Eldekerk gesprochen?«
Yo Mai nickte und kam einen Schritt näher, sodass ich sein Gesicht erkennen konnte. Er war klein und schmalschultrig, wie auch die anderen Männer, und seine Haut war – soweit ich das bei der miserablen Beleuchtung erkennen konnte – von der Farbe
Weitere Kostenlose Bücher