Hexer-Edition 11: Der achtarmige Tod
Einziger im Raum noch nicht begriffen zu haben schien, was Jennifers Worte in letzter Konsequenz bedeuteten.
»Mister Lovecraft und sein Freund waren krank«, erklärte Jennifer, ohne Howard dabei aus den Augen zu lassen, denn in Wirklichkeit war wohl eher er es, dem diese Worte galten, und sie gab sich nicht sehr viel Mühe, dies zu verbergen. »Todkrank sogar. Dagon hat sie geheilt. Das war der Preis für Roberts Hilfe. Wäre es anders, wären sie jetzt beide tot.« Sie schwieg einen Moment, wandte den Kopf und sah nun doch zu Nemo auf. »Und Sie und all Ihre Männer auch, Kapitän Nemo.«
»Ich?« Nemo lachte, aber es klang reichlich verunglückt und der Ausdruck auf seinen Zügen geriet eher zur Grimasse.
»Glauben Sie wirklich, Sie hätten den Shoggoten besiegt, den Dagon gegen die NAUTILUS eingesetzt hatte?«, fragte sie. Ihre Stimme hatte plötzlich einen Klang, als versuche sie einem Schwachsinnigen zu erklären, warum zwei und zwei nicht drei ergeben. »Wenn Sie das denken, dann tun Sie mir Leid, Kapitän Nemo. Es war Dagon, der ihn zurückrief. Sie haben ihn besiegt, aber er hätte Sie und Ihr Schiff trotzdem noch vernichten können, wenn er gewollt hätte.«
»Was soll das?«, fragte Howard scharf. »Sind Sie nur gekommen, um uns zu erzählen, was für ein herzensguter Mensch Dagon in Wahrheit ist?«
Jennifer lächelte sehr traurig, schüttelte den Kopf und wischte sich eine Strähne ihres pechschwarzen Haares aus der Stirn. »Nein«, antwortete sie, abermals mit veränderter Stimme. »Das ist er sicher nicht. Wahrscheinlich ist er nicht einmal ein Mensch.«
»Ganz bestimmt nicht«, sagte Nemo zornig. »Es sei denn, man würde das Wort Mensch neu definieren. Er ist ein Ungeheuer.«
»Es tut mir Leid. Ich habe wohl die Beherrschung verloren«, antwortete Jennifer. »Aber ich bin nicht gekommen, um mit Ihnen über Dagon zu sprechen, Kapitän. Jedenfalls nicht nur.«
»Was dann?«, fragte Nemo.
Diesmal zögerte Jennifer sichtlich, ehe sie antwortete, und als sie es tat, sah sie Howard dabei an, nicht Nemo.
»Ich will zu Dagon«, sagte sie. »Und Sie können mich hinbringen. Nur Sie.«
Howard ächzte. »Sie … Sie wollen, dass wir -«
»Ich sagte bereits«, unterbrach ihn Jennifer, »dass es auch um Robert geht. Sie wollen ihn wiederfinden, nicht? Aber Sie wissen nicht, wo er ist. Ich weiß es.«
»Und dafür, dass Sie uns sagen, wo Craven ist, sollen wir Sie zu Dagon bringen?«, fragte Nemo spöttisch. »Sie sind verrückt, Kindchen. Was wollen Sie von diesem Monstrum? Reicht Ihnen noch nicht, was er Ihnen und Ihrer Mutter angetan hat?«
»Das ist meine Sache«, antwortete Jennifer heftig. »Sie würden es nicht einmal verstehen, wenn ich es Ihnen erklären würde, Nemo.«
Nemo wollte auffahren, aber Howard beendete den drohenden Streit, ehe er wirklich beginnen konnte, und fragte: »Sie schlagen uns also ein Geschäft vor, wenn ich Sie richtig verstehe? Wir bringen Sie zu Dagon und Sie sagen uns dafür, wo Robert ist.«
Jennifer nickte. Die Bewegung wirkte irgendwie trotzig. »Wenn Sie es so nennen wollen …«
»Was sollte uns daran hindern, Ihr Angebot abzuschlagen und Robert Craven auf eigene Faust zu suchen?«, fragte Nemo.
Jennifers Lächeln verriet Howard, dass sie genau auf diese Frage gewartet hatte. »Ich gebe Ihnen mein Wort, Kapitän Nemo«, sagte sie betont, »dass Sie ihn nicht finden würden. Außerdem bliebe Ihnen nicht mehr genug Zeit, alle Weltmeere nach einem einzelnen Mann abzusuchen.«
Nemo erbleichte, war aber gottlob klug genug, nicht auf die unausgesprochene Herausforderung in Jennifers Worten einzugehen.
»Was meinen Sie damit?«, fragte er, »uns bleibt keine Zeit?«
»Robert Craven befindet sich nicht in dieser Zeit«, antwortete Jennifer. »Das magische Tor auf der DAGON hat ihn um etwas mehr als zwei Jahre in die Vergangenheit versetzt, Kapitän Nemo. Genau wie Dagon.«
»In die Vergangenheit?«, ächzte Nemo.
»Und wenn ich Ihnen sage, an welchen Ort, werden Sie begreifen, was ich gemeint habe, als ich sagte, es wäre nicht mehr sehr viel Zeit. Ich meine es ernst.« Sie brach ab, legte eine ganz genau bemessene Pause ein und wandte sich an Howard. »Nun?«
»Ich … kann das nicht entscheiden«, antwortete Howard ausweichend. »Die NAUTILUS ist nicht mein Schiff.«
Jennifer antwortete nicht einmal darauf und plötzlich begriff Howard, wie sehr er dieses Mädchen unterschätzt hatte. Ihre zarte Gestalt und das beinahe noch kindliche Gesicht hatten ihn
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