Hexer-Edition 11: Der achtarmige Tod
dabei ein wenig; hastig zog sie sie wieder enger zusammen. Nemo hatte sich angeboten, ihr Hosen und Hemd eines kleinwüchsigen Besatzungsmitgliedes bringen zu lassen, dessen Figur der ihren – wenigstens, was die Größe anging – nahe kam, aber sie hatte es abgelehnt. Trotzdem hatte Howard den sicheren Eindruck, dass sie fror, obgleich es in Nemos Kabine eher zu warm als zu kalt war.
»Und nun erzählen Sie, Jennifer«, begann er. »Das war doch Ihr Name?«
Jennifer nickte. »Jennifer Borden, genau gesagt. Aber Jennifer reicht vollkommen.«
»Borden?« Howard runzelte die Stirn und tauschte einen raschen, fragenden Blick mit Rowlf. »War das nicht der Name, den Robert -«
»Er kannte meine Mutter«, unterbrach ihn Jennifer rasch. »Ich bin Several Bordens Tochter.«
»Diese Jennifer?«, entfuhr es Nemo. »Aber natürlich – warum bin ich nicht gleich darauf gekommen, ich Narr? Nach dem, was ich vor einer halben Stunde gesehen habe, können Sie niemand anderes sein. Robert hat von Ihnen erzählt.«
»Aber er hat nicht gesagt, wozu Sie fähig sind«, fügte Howard hinzu. »Ich muss sagen, ich bin nicht leicht zu beeindrucken, aber Sie haben es geschafft.«
»Ich wusste es selbst nicht«, gestand Jennifer. »Dagon hat … irgendetwas mit mir getan. Es … begann nach unserer Rückkehr von der DAGON.«
»Der was?« Nemo fuhr wie von der Tarantel gestochen auf. »Sie wollen sagen, dass Sie dieses Schiff gesehen haben? Es existiert also wirklich?«
»Nicht mehr«, antwortete Jennifer. Aus einem Grund, den sich Howard nicht erklären konnte, klang ihre Stimme bei diesen Worten sehr traurig. »Sie wurde zerstört, kurz nachdem wir von Bord gegangen sind.« Sie schwieg einen Moment und ihr Blick verschleierte sich, als brächten die Worte Erinnerungen mit sich, die ihr Pein bereiteten. Dann sah sie auf, blickte Howard für einen endlosen Augenblick durchdringend und mit undeutbarem Ausdruck an und begann zu erzählen.
Es war eine sehr lange Geschichte. Sie begann mit dem Abend, an dem sie von McGillycaddy und ihrem eigenen Vater auf Loch Firth ausgesetzt und Dagons Bekanntschaft gemacht hatte, berichtete von ihrem Zusammentreffen mit Robert und dem Exodus der Einwohner des kleinen Küstendorfes. Sie erzählte von der Irrfahrt der DAGON und dem verzweifelten Kampf gegen die Drachenkrieger, die so plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht waren. Als sie vom Tod ihrer Mutter berichtete, lief eine einzelne, glitzernde Träne über ihre Wange, aber sie sprach tapfer weiter und fing sich bereits nach wenigen Augenblicken wieder.
»Die … die Veränderung begann, als wir zurück waren«, schloss sie. »Ich weiß nicht, was es ist, Mister Lovecraft, ich weiß nicht einmal, ob Dagon es so gewollt hat oder was aus mir werden wird. Aber seither bin ich fähig, unter Wasser zu atmen und schneller zu schwimmen als ein Fisch. Ich … ich fühle mich unwohl, wenn ich an Land bin. Vielleicht kann ich eines Tages überhaupt nur noch im Wasser leben.«
Für eine lange, endlose Minute herrschte vollkommenes Schweigen in der kleinen Kabine. Schließlich räusperte sich Howard hörbar. »Das … ist eine sehr beeindruckende Geschichte«, begann er.
»Aber Sie glauben sie nicht«, sagte Jennifer.
Howard lächelte nervös. »Es fällt mir schwer«, gestand er. »Obwohl ich mit eigenen Augen gesehen habe, wie Sie -«
»Und obwohl Sie Dagons Macht am eigenen Leibe gespürt haben«, unterbrach ihn Jennifer ruhig.
Howard erstarrte. »Nachdem ich … was?«, murmelte er.
»Nachdem Sie am eigenen Leibe erfahren haben, wozu Dagon fähig ist«, wiederholte Jennifer. »Und Ihr Freund« – sie deutete mit einer Kopfbewegung auf Rowlf – »ebenfalls.«
»Ich … ich fürchte, ich verstehe nicht«, murmelte Howard verwirrt.
»Sie … wissen wirklich nicht?«, fragte Jennifer. »Sie wissen nicht, womit Dagon Robert gezwungen hat, ihn an Bord seines Schiffes zu begleiten?«
Howard schüttelte stumm den Kopf.
»Sie«, sagte Jennifer. »Ihr Leben, Mister Lovecraft. Ihres und das Ihres Freundes. Das war der Preis dafür, dass Robert mit Dagon ging. Ich war dabei, als er diesen Handel schloss.«
Howard starrte sie an. Er fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen, wusste nicht, welcher Gedanke schlimmer war: der, von dem Wesen gerettet worden zu sein, gegen das sie mit aller Macht kämpften, oder der, dass dies vielleicht um den Preis von Roberts Leben geschehen sein mochte.
»Worauf wollen Sie hinaus, Miss Borden?«, fragte Nemo, der als
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