Hexer-Edition 11: Der achtarmige Tod
Harmfeld erneut am Kragen.
»Das da draußen sind nicht unsere Feinde!«, keuchte ich. »Ihr sogenanntes Seeungeheuer hätte uns mit dem ersten Schuss versenken können, ist Ihnen das klar? Es ist ein Unterseeboot, verdammt!«
Harmfeld wollte antworten, aber in diesem Moment erscholl ein ungeheures Pfeifen und Dröhnen und eine Sekunde später rollte eine menschliche Stimme über das Meer heran, verzerrt und von einer phantastischen Technik hundertfach verstärkt. Eine Stimme, die ich nur zu gut kannte!
»Achtung, Kapitän der Zuidermaar! Hier spricht Kapitän Nemo von Bord der NAUTILUS. Stellen Sie das Feuer ein!«
Harmfeld erstarrte. Bleich vor Schrecken wandte er sich um, starrte aus hervorquellenden Augen auf den vermeintlichen Monsterschädel – der nichts anderes als der Turm des Unterseebootes war – und versuchte, Worte hervorzubringen. Aber alles, was über seine Lippen kam, war ein unartikuliertes Stöhnen.
»Stellen Sie das Feuer ein und streichen Sie Ihre Flagge!«, fuhr die hundertfach verstärkte Bassstimme Nemos fort. »Sie haben genau eine Minute Zeit, sich zu ergeben. Danach versenken wir Sie.«
Harmfeld begann am ganzen Leibe zu zittern. »Die … die NAUTILUS?«, wimmerte er. »Das ist … das ist vollkommen unmöglich. Das ist …«
»Noch fünfundvierzig Sekunden!«, schrien die Lautsprecher der NAUTILUS.
»Zum Teufel, Kapitän, antworten Sie!«, sagte ich. »Nemo meint es ernst.«
»Aber das ist unmöglich!«, keuchte Harmfeld. Seine Stimme klang schrill, fast kreischend. Sein Blick flackerte. »Die NAUTILUS ist eine Legende. Seemannsgarn. Es gibt dieses Schiff nicht!«
»Noch dreißig Sekunden«, sagte Nemo.
»Ihre Legende wird uns bis auf den Mond sprengen, wenn Sie nicht kapitulieren!«, sagte ich verzweifelt. »Geben Sie Befehl, die Flagge zu streichen!«
Aber Harmfeld schien meine Worte gar nicht zu hören. Gelähmt vor Schrecken starrte er abwechselnd die NAUTILUS und mich an.
»Ihre Bedenkzeit ist um, mes Amis«, sagte Nemo freundlich. »Ich bedauere es zutiefst, aber Sie zwingen mich, Dinge zu tun, die mir im Grunde meiner Seele widerstreben. Pardonnez-moi.«
Und damit stach eine zweite, feurige Lanze zwischen den Bullaugen der NAUTILUS hervor. Ein ungeheures Krachen erklang und für einen Moment wurde die Nacht zum Tage, als hoch über unseren Köpfen die niederländische Flagge mitsamt einem Teil des Hauptmastes in Flammen aufging.
Mein Herz schien mit einem schmerzhaften Sprung direkt in meinen Hals hinaufzuhüpfen und dort wie ein toll gewordenes Hammerwerk weiterzuschlagen. Verzweifelt sah ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Für einen Moment war ich nahe daran, schlichtweg über Bord zu springen, um das rettende Ufer schwimmend zu erreichen. Aber ich verwarf den Gedanken, kaum dass er mir gekommen war. Wenn Nemo wirklich einen seiner schrecklichen Torpedos auf die Zuidermaar abschoss, würden von diesem Schiff kaum mehr Trümmerstücke übrig bleiben.
Aber die tödliche, alles auslöschende Explosion, auf die ich wartete, kam nicht. Stattdessen begann plötzlich dicht vor der Reling das Meer zu brodeln und eine Anzahl gewaltiger, schwarz glänzender Körper durchbrach die Wasseroberfläche. Harmfeld taumelte von der Reling zurück und fuchtelte wild und unkontrolliert mit den Händen umher. An Bord des Schiffes begann eine Panik auszubrechen. Der Einzige, der nicht versuchte, eine möglichst große Entfernung zwischen sich und die Reling zu bringen, war ich.
Im Gegenteil. So rasch es mir mit meinen gefesselten Händen möglich war, ergriff ich eine der zusammengerollten Strickleitern, die längs der Reling lagen, warf sie über Bord und sah zu, wie die Riesengestalten hintereinander daran emporzuklettern begannen. Trotz ihres plumpen Äußeren bewegten sie sich äußerst geschickt und schnell. Schon nach wenigen Sekunden stiegen die ersten Männer über die Reling.
Es waren wahrhaftig Giganten. Keiner von ihnen war kleiner als zwei Meter und ihre Schulterbreite betrug beinahe das Doppelte eines normalen Menschens. Selbst auf mich, der wusste, dass ihr monströses Äußeres nur auf die schweren Tiefsee-Monturen zurückzuführen war, die sie trugen, wirkte der Anblick fast beängstigend.
Während sich die Männer der NAUTILUS im Halbkreis um die Strickleiter verteilten und warteten, bis auch der Letzte an Bord gekommen war, trat ich auf Harmfeld zu. Der Kapitän der Zuidermaar war fast bis zur gegenüberliegenden Reling zurückgewichen und starrte aus
Weitere Kostenlose Bücher