Hexer-Edition 11: Der achtarmige Tod
nur mehr als bloßer Schatten zu erkennen, aber ich sah, dass sie sich wie in irrer Wut hin und her warf, mit ungeheuerlicher Kraft an den Wänden ihres unsichtbaren Gefängnisses zerrend und trotz allem zu schwach, es zu zerbrechen.
»Etwas fehlt!«, sagte Necron. Er richtete sich auf, starrte wild in die Runde – und deutete mit einer zornigen Bewegung auf mich.
»Sie brauchen Leben!«, keuchte er. »Ihn! Töte ihn!«
Seltsamerweise zögerte Dagon. Sein Blick irrte unstet zwischen dem gigantischen Thul Saduun und mir hin und her und ich glaubte den inneren Kampf, den er durchstand, direkt auf seinem Gesicht ablesen zu können.
»Tu es!«, befahl Necron. Seine Stimme wurde schrill, überschlug sich fast. »Tu es! Ich befehle es dir!«
Langsam, als koste ihn die Bewegung unendlich viel Kraft, drehte sich Dagon herum, hob die Hände und machte einen schwerfälligen Schritt auf mich zu.
Er führte die Bewegung nie zu Ende.
Wieder bebte der Boden, aber diesmal war es keine Erschütterung, die tief aus dem Leib der Erde herausdrang. Hinter uns spritzte die Lava auf, so hoch, dass ein Regen brennender Tropfen auf die gesamte Höhle niederging.
Der flüssige Stein begann zu brodeln. Grelle Explosionen zerrissen die Oberfläche des lodernden Kratersees und dann stieg etwas Großes, Dunkles aus der Tiefe des Lavasees empor und durchbrach zischend die Oberfläche!
Für einen Moment zweifelte ich an meinem Verstand.
Aus dem zweitausend Grad heißen Stein stieg die Gestalt eines schlanken, dunkelhaarigen Mädchens empor, glitt, scheinbar schwerelos, bis an den Rand der Lavapfütze und trat mit einem grazilen Schritt auf den sicheren Boden hinaus.
Ihre Kleider und ihr Haar waren übersät mit rot glühenden Brocken geschmolzenen Steines, aber ihre Haut war unverletzt; nicht einmal der halb durchsichtige Seidenstoff ihres Gewandes war verschmort.
»Jennifer!«, murmelte ich fassungslos.
Das Mädchen blieb stehen, wandte den Kopf und blickte auf mich herab.
Und im gleichen Moment, in dem ich in ihre Augen sah, wusste ich, dass sie nicht Jennifer war.
»Du?«, keuchte Dagon. Hinter ihm tobte der Thul Saduun noch immer in seinem Gefängnis aus Schatten und Nichts, aber Dagon schien das bizarre Wesen vollkommen vergessen zu haben.
»Du?«, wiederholte er. »Wer … wer bist du?«
Jennifer trat auf ihn zu, hob die Hand und berührte ihn beinahe sanft an der Stirn.
Dagon brüllte, taumelte nach hinten und prallte gegen den Basaltblock. Die Kristallkugel rollte aus ihrer Ruheposition, hüpfte über den Rand des Blockes und fiel klirrend zu Boden, aber das bemerkte er nicht einmal.
Eine furchtbare Veränderung ging mit seinem Körper vonstatten.
Was schon begonnen hatte, vollendete sich; aus Dagon, dem Fischmenschen, wurde ein Ungeheuer, eine Bestie, die zu beschreiben sich mein Bewusstsein weigert.
Jeglicher Rest von Menschlichkeit verschwand, sein Körper verwandelte sich, wurde zu einem peitschenden, sich windenden grässlichen Ding, das fürchterliche, glucksende Laute ausstieß. Kopf und Gesicht verschwanden, wurden eins mit der fürchterlichen Gallertmasse.
Aber auch Jennifer veränderte sich.
Die Umrisse ihres Körpers schienen zu flackern, als sei sie in Wirklichkeit nichts als das Bild einer Laterna Magica, lösten sich auf, trieben wie farbiger Nebel auseinander und formten sich neu.
Und dann war auch aus dem Mädchen ein Ungeheuer geworden.
Es war kleiner als Dagon – oder das, zu dem er geworden war –, wirkte aber auf seine Weise noch grässlicher, noch bedrohlicher und finsterer. Ein Paar gewaltiger, feuchter Flügel waren dicht an seinen Körper angelegt und zuckten unentwegt.
Es war das gleiche Wesen, dem ich auf der DAGON begegnet war, das Fremde, das mir damals gegen Necrons Drachenkrieger beigestanden hatte.
Dagon kreischte, ein Laut voller entsetzlicher Angst, aber das Wesen, das einmal Jennifer gewesen war, beugte sich zu ihm herab, berührte ihn mit einem seiner schrecklichen Tentakelhände und aus Dagons Angstschreien wurde ein Wimmern.
Auch der Thul Saduun in seinem Gefängnis aus Finsternis begann sich stärker zu winden und zu toben. Das Jennifer-Ungeheuer richtete sich auf, hob die Hand und deutete mit einer befehlenden Geste auf den Kreis aus Finsternis.
Er begann zu schrumpfen, wurde zu einem kleinen, pulsierenden Fleck – und verschwand.
»Das nützt dir nichts!«, keuchte Necron.
Der Krakenköpfige drehte sich herum, musterte ihn einen Moment aus seinen riesigen, gelben
Weitere Kostenlose Bücher