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Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York

Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York

Titel: Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ging hin und hielt die Plane vor dem Eingang zurück, damit ich hindurchtreten konnte.
    Sein Inneres war ein wenig geräumiger als das, in dem ich aufgewacht war, aber daran verschwendete ich nicht einmal einen Blick. Auch nicht an Annie, die mit dem Rücken zur Tür auf einem unbequemen Hocker saß und bei meinem Eintreten aufsah, oder Lance Postlethwaithe, der mich durch seine zerkratzte Brille erfreut anblickte und ein Lächeln auf seine zerknitterten Züge zauberte. Mein Blick hing wie gebannt an der schlanken Mädchengestalt auf dem Bett zwischen den beiden.
    Ich hatte gewusst, was ich sehen würde, und eigentlich war es nicht einmal so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Trotzdem ließ mich der Anblick aufstöhnen.
    Priscylla lag schlafend auf dem Bett, in einer Haltung wie ein ungeborenes Kind, auf der Seite, die Knie fest an den Körper gezogen und die linke Hand zur Faust geballt, in die sie hineingebissen hatte, die andere auf dem Einband des entsetzlichen Buches, mit dem ihr Geist untrennbar verbunden war.
    Von allem war es vielleicht der Anblick des NECRONOMICON, der mich am härtesten traf. Das Buch kam mir vor wie Materie gewordener Hohn, ein letztes, böses Erbe, das Necron zurückgelassen hatte, um mich noch über seinen Tod hinaus zu quälen. Langsam trat ich an das schmale Bett heran, streckte die Hand aus, wie um Priscyllas Haar zu streicheln, und führte die Bewegung dann nicht zu Ende. Irgendetwas hielt mich davon ab, sie zu berühren, so lange sie dieses entsetzliche Buch bei sich hatte.
    »Sie lebt«, murmelte Annie, die mein Erschrecken wohl falsch gedeutet hatte.
    »Ich weiß«, antwortete ich. »Ist sie … erwacht?«
    »Ein paar Mal«, antwortete Postlethwaithe an Annies Stelle. »Aber sie war …« Er zögerte, tauschte einen raschen, fast flehenden Blick mit Bill und rettete sich in ein verlegenes Lächeln. »Ein wenig verwirrt«, führte er den Satz schließlich zu Ende.
    Ein wenig verwirrt … Seine Worte klangen wie böser Spott hinter meiner Stirn nach. Priscylla war nicht ein wenig verwirrt – sie war schlichtweg nicht bei Sinnen – und genau das war es gewesen, was Lance wirklich hatte sagen wollen. Ihr Geist war in Abgründen des Wahnsinns gefangen und stand Höllenqualen aus, schlimmer als jemals zuvor. Necron hatte sich an mir gerächt. Und wie er sich gerächt hatte!
    Bill Cody räusperte sich hörbar. »Wir … müssen über sie reden«, sagte er stockend.
    »So?« Ich drehte mich um. »Warum?«
    »Wir können nicht hier bleiben, Robert«, fuhr Bill fort. »Unsere Vorräte gehen allmählich zur Neige und Ixmal und seine Männer wollen wieder zurück zu ihrem Stamm.« Er wollte noch mehr sagen, aber in diesem Moment wurde die Zeltplane erneut zurückgeschlagen und Sitting Bull trat gebeugt herein. Er sah müde aus und ging mit kleinen, schleppenden Schritten; zum ersten Mal sah er wirklich so alt aus, wie er sein musste, dachte ich. Aber die letzten Tage waren auch für ihn eine Tortur gewesen. Mich hatten sie fast umgebracht und Sitting Bull war drei Mal so alt wie ich. Es war ein Wunder, dass er noch lebte.
    Ich verscheuchte den Gedanken und wandte mich wieder an Bill. »Und wo liegt das Problem?«, fragte ich scharf. Ich wusste ganz genau, worauf Buffalo Bill Cody hinaus wollte. Aber ich wollte es aus seinem Munde hören.
    »Es ist dieses Buch, Robert«, sagte Annie plötzlich. »Sie fängt an zu schreien, wenn wir versuchen, es ihr wegzunehmen.«
    »Ich weiß«, antwortete ich, ohne sie auch nur anzusehen. »Ihr würdet sie umbringen, wenn ihr es tätet.«
    »Aber wir können es nicht mitnehmen«, sagte Sitting Bull leise. Er deutete auf das Buch. »Ich spüre das Böse«, fuhr er fort. »Und die anderen auch. Es ist falsch, es mitzunehmen.«
    Für Sekunden starrte ich ihn nur an, aber wie immer hielt Sitting Bull meinem Blick ruhig stand und wie immer war ich es, der das stumme Duell schließlich verlor und den Blick senkte. Aber nur für einen Augenblick. Dann sah ich wieder auf Priscyllas bleiches, leicht verzerrtes Gesicht, ein Gesicht, in das der Wahnsinn seine Krallen geschlagen hatte und hinter dem ihr Geist einen verzweifelten – und wahrscheinlich aussichtslosen – Kampf gegen die Kräfte dieses verfluchten Buches kämpfte, und plötzlich war alles, was ich noch fühlte, Zorn. Eine rasende, ziellose Wut. Das Mädchen, dem meine ganze Liebe gehörte, das vielleicht der einzige Grund war, aus dem mein Leben noch so etwas wie Sinn hatte, lag vor mir, verletzt und

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