Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York
wusste ich, dass sie wirklich frei war.
Nach einer Reise, die mich um die ganze Welt geführt hatte, hatte ich mein Ziel erreicht. Sie war frei. Frei!
Vielleicht ist es albern und romantisch – aber ich dachte ganz genau diesen Satz: Am Schluss hat unsere Liebe doch gesiegt!
Wie gesagt – ich dachte es.
Ich Narr.
In dem uralten, verfallenen Keller konnten sich nicht einmal die Ratten und Kakerlaken wohl fühlen. An den feucht glänzenden Wänden wucherte graugrüner Schimmelpilz und am Boden sammelten sich stinkende Pfützen einer undefinierbaren, schillernden Brühe. Aus zerborstenen, verdrehten Leitungsrohren, im Todeskampf erstarrten Schlangen gleich, tropfte eine ölige Flüssigkeit zu Boden.
Und doch hatte sich Ungeziefer in diesem verkommenen Kellerloch breit gemacht. Zwischen deckenhohen Transformatoren huschten die Ratten; die Reagenzgläser in den Regalen waren von dichten Spinnweben überzogen. Und trotz der allgegenwärtigen Feuchtigkeit schmeckte die Luft verbraucht und so trocken, dass das Atmen zu einer Qual wurde.
Eine einzelne rußende Petroleumlampe nur schaukelte an einem Draht von der Decke; trotzdem war die erschreckende Szenerie taghell erleuchtet. Zwischen kugelförmigen Polen zuckten grelle Blitze, tanzten irrlichternd über den Stahl und verbanden gewaltige Transformatoren durch ein Netz aus reiner Energie. Ein Knistern und Summen erfüllte den Raum wie das Wispern eines zürnenden Donnergottes.
Die gesamte Einrichtung des Kellers und auch der große, fleckige Seziertisch waren an einer der geborstenen Wände aufgestapelt worden, um einem übermannsgroßen, metallenen Zylinder Platz zu machen, der nun wie ein künstlicher Dämon aus Eisen und Glas im Zentrum des Raumes hockte, Blitze schleudernd und dräuend und auf morbide Art fast schön in seiner sterilen Hässlichkeit. Dutzende von fingerdicken Kabeln wanden sich von den verstaubten Apparaturen bis zu seinem zolldicken Mantel. Dünne Glasröhren verbanden ihn mit Behältern unter der niedrigen Decke: Röhren, in denen graue, kochende Flüssigkeit pulsierte.
Bis auf einige Messinstrumente und ein von Rost zerfressenes Schwungrad war die Haut des Zylinders glatt und eben. Nur auf seinem oberen Ende gab es ein kleines Sichtfenster wie ein dämonisch glotzendes Auge.
Und darüber gebeugt, in einen vor Schmutz starrenden, blutbefleckten Kittel gehüllt, das fettige graue Haar streng zurückgekämmt, stand eine Frau. Durch das dicke Glas der Hornbrille wirkten ihre Augen übergroß und kalt wie die eines Fisches.
Augen, in denen ein gieriges Funkeln aufblitzte, während sie sich noch weiter vorbeugte und mit dem Ärmel ihres Kittels das Sichtfenster blank zu wischen versuchte; mit dem einzigen Erfolg, dass der Schmutz noch weiter verschmierte und danach fast noch weniger zu sehen war.
»Mehr Elektrizität, Maximilian«, flüsterte die dürre Frau heiser. Ihre freie linke Hand vollführte kleine flatternde Bewegungen, um den Befehl zu unterstreichen. Als sie keine Antwort erhielt, blickte sie unwirsch auf, rückte mit einer fahrigen Bewegung ihre Brille zurecht und stemmte die Arme in die Seiten. Fast hätte sie dabei die Balance verloren; im letzten Moment erst krampfte sie ihre dürren Finger wieder um die oberste Sprosse der Leiter, auf der sie stand.
»Maximilian!«, keifte sie mit schriller, unangenehmer Stimme. »Elender Träumer!«
Der junge Mann, der die Leiter hielt, zuckte sichtlich zusammen und löste seinen Blick von den Instrumenten. »Frau Professor?« Seine Augen wirkten trüb, als wäre er unversehens aus einem Traum gerissen worden und hätte den Weg zurück in die Wirklichkeit noch nicht ganz gefunden.
»Mehr Elektrizität! Elektrischer Strom, unfähiger Idiot!«, keifte die Alte. »Und so was will Medizin studiert haben – dass ich nicht lache! Ich hätte wohl besser doch meine Nichte, diese Träumerin Mary Shelley, zur Hilfe holen sollen! Willst du mein Lebenswerk sabotieren?«
»Es ist unser Werk, Frau Professor -«, wollte Maximilian einwenden, doch die Alte schnitt ihm mit einer übertrieben theatralischen Geste das Wort ab. »Papperlapapp! Dein einziger Beitrag ist dieser unnütze Säurekessel da oben« – sie deutete auf den großen Behälter, der genau über dem Stahlzylinder mit der Decke verankert war – »und den werden wir nicht einmal brauchen. Es geht alles genau nach Plan. Wie ich es berechnet habe! Deine lächerliche Angst, irgendetwas könnte schief gehen … Nein, er wird
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