Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer!
unterhielt. So konnte ich mich wenigstens für ein Weilchen von dem unseligen Henry Baskerville ablenken.
»Schön«, erwiderte ich. »Darf ich vielleicht fragen, was Sie denn von mir zu wissen glauben?«
Er lächelte noch immer. »Auf den ersten Blick scheinen Sie ein wohlhabender und, mit Verlaub, etwas eitler Geck zu sein. Die gefärbte Strähne in ihrem Haar – eine Modetorheit. Ihr maßgeschneiderter Anzug, der Spazierstock – ein britischer Gentleman aus den Kreisen der besten Gesellschaft.«
»Haha«, machte ich. Mit seinem »Wissen« war es wohl doch nicht so weit her.
»Alles falsch, abgesehen davon, dass Sie in der Tat wohlhabend sind, nicht wahr?«, fuhr er fort. »Aber ich sagte es ja: Auf den ersten Blick erwecken Sie diesen Eindruck. Ein zweiter aufmerksamer Blick widerlegt die schnell gefasste Meinung jedoch sehr bald.«
»Was Sie nicht sagen!«
Der Mann sprach nicht sofort weiter. Stattdessen holte er sein Rauchzeug hervor und zündete sich in aller Seelenruhe eine prächtige Pfeife an. Erst nachdem er ihr einige graublaue Rauchschwaden entlockt hatte, fuhr er mit seiner Analyse meiner Person fort.
»Zunächst einmal«, sagte er, »sind Sie gar kein Engländer, sondern Amerikaner. Sie stammen aus New York – oder haben zumindest den größten Teil ihres Lebens dort zugebracht. Sie sind oft auf Reisen, gut zu Fuß und lieben das Abenteuer. Oder vielmehr: Sie fürchten es, denn Sie haben gelernt, stets auf der Hut zu sein und drohenden Gefahren gut vorbereitet entgegenzutreten. Nicht zuletzt aus diesem Grunde tragen Sie auch eine Waffe bei sich. An Modetorheiten sind Sie gänzlich uninteressiert – die weiße Haarsträhne ist nicht das Werk eines Coiffeurs, sondern rührt vielmehr von einer Verletzung her. Sie sind ziemlich belesen, bevorzugen jedoch Bücher, auch wenn Sie sich soeben – ziemlich unkonzentriert übrigens – mit dem Wirtschaftsteil der Times beschäftigt haben. Sie sind Nichtraucher, befinden sich aber häufig in Gesellschaft eines Freundes, der starker Zigarrenraucher ist, was Sie zweifellos des öfteren gegen den Ärmsten aufbringt. Habe ich noch etwas vergessen? Ach ja, Ihr Vorname ist Robert. Richtig?«
Es war ihm voll und ganz gelungen, mich in fassungsloses Erstaunen zu versetzen. Niemals zuvor war mir ein Fremder begegnet, der so viel über mich wusste. Oder war ich für ihn vielleicht gar kein Fremder? Hatte er, aus welchem Grund auch immer, Erkundigungen über mich eingezogen? War unser Zusammentreffen in diesem Zugabteil gar kein Zufall, wie ich angenommen hatte?
»Glauben Sie mir«, sagte er, »Sie waren mir bis zum heutigen Tage völlig unbekannt.«
Ich starrte ihn an. »Können Sie Gedanken lesen?«
»Leider nicht«, lächelte er. »Das könnte Vieles vereinfachen. Ihre augenblicklichen Gedanken zu erraten, war allerdings nicht sonderlich schwer. Sie standen Ihnen sozusagen auf der Stirn geschrieben!«
»Und all das andere? Ich meine, wie konnten Sie -«
»Alles eine Frage der Beobachtung und der logischen Schlussfolgerung, mein Freund.« Genüsslich zog er an seiner Pfeife. »Dass Sie nicht aus England stammen können, verrät allein schon Ihr Akzent – eine eindeutig New Yorker Klangfärbung für diejenigen, die sich wie ich ein wenig mit Sprachen und Dialekten befasst haben.«
»Gut, gut«, sagte ich, »dass ein Akzent viel aussagen kann, vermag ich ja noch einzusehen. Aber woher wussten Sie zum Beispiel, dass ich oft auf Reisen bin? Ich könnte ja auch schon vor Jahren von New York nach London übersiedelt sein und dort ganz zurückgezogen leben.«
»Nein«, sagte er bestimmt. »Man braucht nur Ihre Schuhe zu betrachten. Sie sind noch recht neu, an den Seiten aber bereits stark in Mitleidenschaft gezogen. Sie gehen also viel zu Fuß und sind gewiss alles andere als ein Stubenhocker. Für Ihre Reiselust sprechen mehrere Indizien. Ihre gebräunte Haut etwa, die Sie bestimmt nicht im berühmt-berüchtigten Londoner Wetter gewonnen haben. Dann sehe ich weiße Flecken unter den Kuppen Ihrer Fingernägel – ohne Zweifel Vitaminmangel, ein häufiges Übel bei längeren Reisen. Ihr Bart ist nicht sauber ausrasiert. Ich vermute, Sie tragen ihn nicht, weil Sie besonders anziehend auf die Damenwelt wirken wollen, sondern der Einfachheit halber – weil er praktisch auf Reisen ist.«
Unwillkürlich fuhr ich mit der Hand durch den Bart und bestätigte meinem Gegenüber damit mehr oder weniger, dass er auch in diesem Punkt völlig Recht hatte.
»Und eitel sind
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