Hexer-Edition 18: Endstation Hölle
Urmenschen ähnelten und doch anders waren; intelligent trotz ihres tumben Ausdrucks. Ich hatte sie nie gesehen und erkannte sie doch sofort.
Es war die »Weiße Rasse«. Jene geheimnisumwitterte Spezies, die Professor Lidenbrock in seinem Buch so ausführlich beschrieben hatte. Das fehlende Glied in der Darwinschen Kette. Der Halbmensch zwischen dem Neandertaler und dem Homo sapiens der Neuzeit. Lidenbrock hatte jenseits des großen Meeres nur eine Mumie als Vertreter dieses Urvolkes gefunden und die Weiße Rasse seit Jahrtausenden für ausgestorben gehalten.
Ich hätte viel darum gegeben, hätte er in diesem Punkt Recht behalten. Denn ob wissenschaftliche Sensation oder nicht, die Speere, Keulen und primitiven Messer, mit denen sie auf uns zustürmten, waren echt!
Für Sekunden war ich wie benommen. Ich merkte kaum, dass Sill erschrocken zurückprallte und den Bewusstlosen losließ, den wir zwischen uns getragen hatten. Erst das schmerzerfüllte Stöhnen, mit dem der Mann zu Boden stürzte, riss mich in die Wirklichkeit zurück.
Er kam wieder zu sich! Mit ihm als Ballast hätten wir es niemals bis zum Waldrand geschafft, doch wenn er selbst laufen konnte, hatten wir zumindest noch eine Chance! Schnell beugte ich mich zu ihm hinab und sah, dass er die Augen geöffnet hatte. Noch war sein Blick trüb, aber die Schleier der Ohnmacht wichen zusehends.
»Ich bin ein Freund!«, klärte ich schnell die Fronten. »Keine Fragen jetzt – wir müssen so rasch wie möglich fort von hier. Die Eingeborenen …«
Ich unterbrach meinen Redefluss, als mir einfiel, dass er mich wahrscheinlich gar nicht verstehen konnte. Schließlich befanden wir uns hier unter der Arabischen Wüste, noch dazu Meilen im Inneren der Erde. Ein solcher Zufall, ausgerechnet hier auf einen Landsmann zu treffen, konnte wohl nur in schlechten Romanen vorkommen.
Dass ich mich irrte – und zwar in beiden Punkten! –, erfuhr ich im nächsten Augenblick.
»Wo … wo bin ich?«, stöhnte der Fremde – in bestem Englisch. »Was ist …« Dann plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper, und er bäumte sich unter meinem Griff auf. Von einem Moment zum nächsten war er hellwach.
»Meine Maschine!«, schrie er auf. »Ich muss …« Und wieder stockte er, als sein Blick auf mein Gesicht fiel. Schlagartig wich alle Farbe aus seinen ohnehin blassen Zügen. »Du? Du … bist hier?« In seiner Stimme schwang Fassungslosigkeit mit. »Aber wie …?«
Ich wusste nicht, mit wem er mich verwechselte, und mir fehlte auch gänzlich die Zeit, es herauszufinden.
Sill berührte mich am Arm. »Sidi!«, drängte sie und deutete zum Dorf hinüber. In ihren Zügen stritten Flehen, Angst und energische Entschlossenheit miteinander. Ich warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück. Die Wilden waren nun bis auf etwa zweihundert Yards herangekommen. Unser Vorsprung schmolz dahin – und mit ihm unsere Chance, die nächsten Minuten lebend zu überstehen.
»Hören Sie!«, wandte ich mich mit aller Eindringlichkeit, die ich noch aufbringen konnte, wieder an den Fremden. »Ich kenne Sie zwar nicht, aber Sie können mir vertrauen. Wenn –«
Er hörte mir gar nicht zu. Seine sehnigen Hände krallten sich in die Aufschläge meines Jacketts. »Ich muss zu meiner Maschine!«, beharrte er und in seiner Stimme schwang ein Ton mit, der mir ganz und gar nicht gefiel. »Die Wilden sind die Einzigen, die wissen, wo sie steht! Ich muss zu ihnen zurück, und -«
»Und was, zum Teufel?«, fuhr ich ihn an. »Sich massakrieren lassen? Vergessen Sie Ihre verdammte Maschine und kommen Sie mit!«
»Du verstehst mich sehr gut!« Mit einer Kraft, die ihm wohl nur die Verzweiflung verleihen konnte, zerrte er mich näher zu sich heran. »Die Zeitmaschine ist die einzige Möglichkeit für mich von hier wegzukommen! Verdammt, ich weiß ja nicht einmal, wo ich hier bin! Aber du bist hier, Roderick, und du wirst mich nicht noch einmal im Stich lassen!«
Sekundenlang kämpfte ich um meine Fassung. Roderick! Roderick Andara! Nun war mir klar, warum er mich zu erkennen geglaubt hatte. Bis auf die Tatsache, dass ich um einiges jünger war als mein verstorbener Vater, war ich Roderick Andara wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch was um alles in der Welt hatte dieser Mann mit meinem Vater zu schaffen?
»Du kannst dich nicht verleugnen, Andara!« Die Stimme des Fremden schnappte fast über. »Wozu bist du denn ein … ein Hexer?« Er spie mir das verhasste Wort beinahe entgegen. »Und seit wann
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