Hexer-Edition 18: Endstation Hölle
werden, dass sie völlig nackt vor mir lag. »Im … im Tempel, glaube ich«, entgegnete sie heiser. »Ich … war in Trance. Sie haben mir irgendeinen Trank eingeflößt, Sidi! Ich konnte mich kaum wehren, als sie mir die Kleider …«
Ich bemerkte ihren schamerfüllten Blick und lächelte ihr beruhigend zu. »Darüber mach dir keine Gedanken, Sill. Und außerdem« – ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken – »bietest du einen durchaus erfreulichen Anblick.« Ich löste die letzte Fessel, und während Sill sich vom Opferstein herunterschwang, zog ich mein Hemd aus und reichte es ihr. Sie schlüpfte hastig hinein.
Ich sah mich um. Noch regte sich nichts, doch lange konnte es nicht mehr dauern, bis sich die Bewohner dieses Dorfes wieder hervorwagten. Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen herauszufinden, ob sie uns dann freundlich oder feindlich gesinnt waren.
»Wir müssen weg von hier«, drängte nun auch Sill. »Kennst du einen Weg hinauf zur Oberfläche?«
»Ich weiß es nicht«, entgegnete ich. »Es gibt ein Meer, etwa vier Stunden von hier. Ich habe darüber gelesen, vor vielen Jahren. Ich glaube, an seinem jenseitigen Ufer finden wir einen Aufstieg.«
»Gelesen?« Sill schüttelte ungläubig den Kopf. »Willst du damit sagen, dass -«
»Wir haben jetzt keine Zeit für Erklärungen«, unterbrach ich sie und sah mich wieder um. Noch immer regte sich nichts. Ich deutete auf den Bewusstlosen, den ich neben dem Opferstein zu Boden gelassen hatte. »Wer ist das? Kennst du ihn?«
Sill schüttelte abermals den Kopf. »Aber er war ein Gefangener wie ich«, sagte sie dann. »Er hat mit dem Ungeheuer um mein Leben gekämpft.«
»Wir nehmen ihn mit uns«, entschied ich kurz entschlossen. »Fühlst du dich kräftig genug, um mir zu helfen? Wir müssen ihn stützen …«
Das Erwachen kam plötzlich; so abrupt, dass allein die Erkenntnis zu leben viele von ihnen tötete, noch bevor ihr Geist vollends erwacht war.
Ihre Körper waren unfertig, einige noch hilflose Larven und nicht fähig, den ersten Atemzug zu tun. Und so starben wieder viele von ihnen, als der magische Schrei sie erreichte und hinauszerrte aus der Geborgenheit der Kokons in die kalte gnadenlose Wirklichkeit.
Nur wenige waren bereits vollendet, nicht mehr als formloses, aufgedunsenes Fleisch zwar, aber doch stark genug, dem Schock zu widerstehen. Und nur sie überlebten.
Der Todesschrei des weißen Wurms erreichte seine Brut zu einer Zeit, in der sich die erste boshafte Intelligenz regte: zu früh, um wahres Leben zu erwecken, doch zu spät, um für alle den Tod zu bringen. Er traf ihre erwachenden Hirne mit solcher Wucht, dass die Körper sich von den Kokons lösen mussten, wollten sie ihn ertragen.
Hinausgeschleudert in ihre neue, zweite Existenz, gehorchte die Brut allein ihrem Instinkt, der auch ihnen angeboren war wie jedweder Kreatur. Sie verließen das Nest, zwängten ihre unbeholfenen, fast noch transparenten Leiber, in denen blutrote Herzen hektisch pumpten, durch die schmalen Gänge des Berges. Wieder starben etliche von ihnen, ohne je das Licht erblickt zu haben, blieben wie Froschlaich in den Krümmungen des Weges liegen und hauchten ihr unheiliges Leben aus.
Doch acht von ihnen – acht von sechsundvierzig – erreichten den Ausstieg. Sie quollen wie eine einzige, amorphe Masse ins Freie, glitten den steinernen Berghang hinunter und blieben wie tot am Fuße des Vulkanberges liegen.
Drei von ihnen fehlte der lebenserhaltende Impuls, sich wieder zu erheben und den schwerfälligen Körper weiterzuschleppen; und der Wind fuhr über ihre Leiber und trocknete sie aus.
Doch fünf der weißen Würmer folgten dem Schrei.
Fünf Wesen, deren Instinkt das Töten war, fanden die Spur, die den Weg des Muttertieres markierte, und sie folgten ihr, um seinen Tod mannigfach zu rächen.
Sie allein hatten überlebt, und nun würde nichts mehr sie aufhalten können …
Wir hatten erst knapp die Hälfte der Strecke bis zum rettenden Waldrand zurückgelegt, als das eintraf, was ich insgeheim befürchtet hatte. Ein vielstimmiger gellender Schrei erscholl hinter uns – ein Laut, den man selbst mit dem besten Willen nicht als freundlich bezeichnen konnte.
Genauso wenig wie die gut fünfzig bewaffneten Krieger, die wir erblickten, als Sill und ich herumfuhren.
Es waren Wesen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte – lang und dürr, von krankhaft weißer Hautfarbe und übermäßig behaart, mit Gesichtern, die den Bildern von
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