Hexer-Edition 18: Endstation Hölle
Gnade.
Er.
Er war ein fürchterliches Wesen, doch in den Augen der ÄLTEREN GÖTTER war er schwach.
Und er war ein Kind, geboren lange vor der Flucht auf die Erde, getrennt von seinen Erzeugern, die irgendwo zwischen den Sternen weit draußen ihr feuriges Leben ausgehaucht hatten. Er war der Letzte seiner Art, ein gewaltiger Gott in den Augen urzeitlicher Völker. Doch es sollte ihm nicht gegeben sein, jemals diese Rolle zu spielen.
Die ÄLTEREN GÖTTER erlaubten ihm zu schlafen. Sie räumten ihm ein, dass er sein kindhaftes Leben unbeschadet behalten durfte, und sie wussten zu genau, dass er ihre Entscheidungen und Maßnahmen nachträglich nicht zu durchkreuzen vermochte. Dazu war er zu schwach, dazu wusste er viel zu wenig von der Welt der Erwachsenen, die eigentlich gar nicht seine Welt war. In ihm lebte der Spieltrieb wie in jedem Kind und ihm fehlte das Urteilsvermögen, um zwischen Recht und Unrecht unterscheiden zu können.
Er wählte sich den Bereich um den Nordpol für seine Ruhestatt. Längst war das fremde Eis mit dem vorhandenen verschmolzen, bildete eine friedliche Einheit und wehrte sich nicht gegen seine Annäherung. Die geflügelten Boten der ÄLTEREN GÖTTER schufen die Kaverne und sie wiesen ihn an hinabzusteigen.
»Wann werde ich erwachen?«, fragte er immer wieder, doch erhielt er keine Antwort. Das Eis umschloss ihn und es verhinderte, dass er jemals seine verderblichen Fähigkeiten gegen irgendein Lebewesen würde einsetzen können. Er legte sich zur Ruhe und aus Cthugha, dem Flammenden, wurde Cthugha, der Eisige. Kälte und Finsternis umfingen ihn, während die Helfer der ÄLTEREN GÖTTER die Kaverne verschlossen.
»Schlafe, kleines Kind«, vernahm Cthugha endlich eine ihrer Stimmen. »Du hast den Schlaf bitter nötig. Du bist in eine falsche Welt geboren, denn du hast eine andere verdient. Doch merke dir: Was immer auch sein wird, es liegt an dir selbst, was aus dir wird, AUF WESSEN SEITE DU EINES TAGES STEHEN WIRST.«
»Wann werde ich erwachen?«
Sie blieben ihm die Antwort schuldig und Cthugha wurde schläfrig und dachte nicht mehr an die Zukunft. Er besaß keine Vergleichsmöglichkeit, und so war in seinen Gedanken Zufriedenheit über sein bisheriges Leben, Zufriedenheit über die Handlungen der GROSSEN ALTEN und die Rebellion der Shoggoten und ihrer Helfer.
Cthugha nahm es hin, wie ein Kind etwas hinnahm, was es nicht ändern konnte. Er verdrängte die schlimmen Gedanken und wollte nur noch schlafen. Er fragte sich nicht, wie lange der Schlaf dauern würde.
Es spielte keine Rolle.
Nicht für ihn, den flammenden Cthugha.
Der Schlaf übermannte das Kind und das Eis flüsterte ihm zu, dass er der Letzte seiner Familie war.
Cthugha schlief und vielleicht war in ihm jene Art von wohliger Wärme, die bei Menschenkindern ein so stilles und sanftes Lächeln auf das Gesicht wirft, wenn sie träumen.
Sechs Tage lang führte ihr Weg durch unwegsames Gelände. Sie überquerten die Pässe der West-Ghats und ritten das Bhima-Tal hinab bis Gulbarga, an dem Flusslauf entlang, dessen grünblaues Wasser sie immer wieder zu einem Bad verlockte. Trotz der Jahreszeit war es in Indien sommerlich warm; die letzte Trockenperiode vor dem einsetzenden Winter hielt bereits seit Wochen an. Von Gulbarga gelangten sie hinauf nach Haiderabad und von dort waren es nur ein paar Minuten bis zu der außerhalb der Stadt gelegenen Endstation der Bahn.
Eine halbe Meile hinter der Stadt zügelte Phileas Fogg sein Pferd. Er wandte sich zu seinem Diener um und Passepartout erschrak ob des Aussehens seines Herrn. Foggs Gesicht war aschfahl und eingefallen, seine Augen lagen tief in den dunkel umrandeten Höhlen und die Nase war gerötet und ein wenig geschwollen. Er machte den Eindruck, als litte er an Auszehrung, und dabei wusste der Diener genau, dass dies nicht der Fall war. Sie hatten sich in Bombay mit ausreichend Nahrungsmitteln für eine ganze Woche versorgt und die Satteltaschen waren noch nicht vollständig leer geworden.
Viel schlimmer war der allgemeine Zustand seines Körpers. Hände und Unterarme von Mr. Fogg zitterten unablässig und manchmal ging es wie ein Zucken durch seine Beine. Ab und zu, wenn er sich unbeobachtet fühlte, sank sein Oberkörper nach vorn, rang sich über seine Lippen ein kaum hörbares Stöhnen, schien der ganze Körper dieses Mannes nach Erlösung zu schreien.
Und Passepartout ritt hinterher wie ein Häuflein Elend, unfähig, etwas Sinnvolles zu sagen und seinem Herrn zu
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