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Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Titel: Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zurückgelegt hatte, bis sich der Wald vor den Männern, die er verfolgte, lichtete und er wieder die Küste sehen konnte. Die Schatten mehrerer großer Gebäude hoben sich wie die Umrisse sonderbar kantiger Gebirge vor dem Nachthimmel ab.
    Cohen blieb stehen. Die beiden Männer waren fünfzig oder sechzig Schritte vor ihm, aber er konnte sie jetzt ganz deutlich sehen und wollte sein Glück nicht auf die Probe stellen – wenn sie stehen blieben und sich aus irgendeinem Grund umdrehten, mussten sie ihn ebenso deutlich sehen, und Cohen hätte nicht sein Leben darauf gewettet, dass sie auch ein zweites Mal mit Blindheit geschlagen waren. So wartete er, bis sie sich dem größten der offensichtlich leer stehenden Gebäude näherten und schließlich mit seinem Schatten verschmolzen. Erst dann huschte er geduckt und sehr schnell weiter.
    Während er sich den Gebäuden näherte, wurde ihm klar, dass er sich auf dem Gelände einer alten Fabrik befinden musste; vielleicht eines Sägewerkes, denn weiter zum Waldrand hin entdeckte er große Stapel mit geschnittenen, wenn auch halb verrotteten Baumstämmen. Die schottische Nordküste erschien ihm ein sonderbarer Ort für ein Sägewerk, aber noch sonderbarer erschien es ihm, ein solches in der Nähe einer Ortschaft wie Brandersgate zu finden. Diese Fabrik war sehr groß gewesen. Die Anzahl ihrer Arbeiter musste die der Einwohner Brandersgates – Frauen und Kinder mitgerechnet – bei weitem überstiegen haben. Auf der anderen Seite erschien ihm der Zustand der Fabrik nur zu passend; ein weiteres Symbol für den unheimlichen Verfall, der von dem kleinen Dorf Besitz ergriffen hatte.
    Er verscheuchte den Gedanken und konzentrierte sich wieder ganz auf das, was er sah und vor allem hörte. Die beiden Männer hatten das Gebäude durch eine Tür betreten, die sie hinter sich nur angelehnt hatten, und als Cohen sich ihr näherte, hörte er ein dumpfes Raunen und Murmeln, wie von zahlreichen Stimmen, die sich dort drinnen unterhielten – oder sangen? – und sah einen blassen, rötlichen Lichtschein. Er blieb noch einmal stehen, sah sich sichernd nach allen Seiten um und öffnete schließlich die Tür. Die rostigen Angeln quietschten erbärmlich und Cohen verzog erschrocken das Gesicht. Er hätte schwören können, dass sie das vorhin nicht getan hatten, als die beiden anderen die Tür öffneten.
    Drinnen erwartete ihn ein riesiger, vollkommen leerer und fast vollkommen dunkler Raum. Der Lichtschein, den er sah, drang durch die Ritzen einer großen hölzernen Tür auf der anderen Seite. Auf Zehenspitzen bewegte sich Inspektor Cohen dorthin, presste für ein paar Augenblicke das Ohr gegen die Tür um zu lauschen, und versuchte schließlich einen Blick durch die zum Teil fast fingerbreiten Spalten in dem verzogenen Holz zu werfen.
    Auf der anderen Seite lag ein großer, vom flackernden Licht brennender Fackeln erhellter Raum, der fast zur Gänze von den Umrissen riesiger, rostzerfressener Maschinen erfüllt war und in dem sich ungefähr ein Dutzend Gestalten aufhielt. Sie waren sehr klein und schlank und obwohl Cohen ihre Gesichter nicht erkennen konnte, verrieten ihm doch allein ihre Proportionen, dass es sich um Kinder handelte, keines älter als sieben oder acht Jahre, schätzte er. Aber die Kinder waren nicht das Einzige, was sich in dem alten Maschinensaal befand. Außer ihnen war noch etwas da und dieser Anblick erfüllte Cohen mit einem solchen Entsetzen, dass er die Schritte hinter sich erst registrierte, als es zu spät war.
    »Inspektor Cohen!«, sagte eine Stimme hinter ihm. Sie klang dünn und schwach und alt und trotzdem erkannte er sie sofort, obwohl er sie erst ein einziges Mal im Leben gehört hatte. Cohen fuhr herum und blickte in ein schmales, von zahllosen Jahrzehnten gezeichnetes Gesicht und Augen, die so kalt und hart waren, als wären sie aus Stahl gegossen. »Ich sagte Ihnen doch, dass wir uns wiedersehen würden, nicht wahr?«
     
    Die Treppe war vermutlich tagsüber schon unheimlich; jetzt, im Dunkeln, wurde es zu einem halsbrecherischen Abenteuer, die ausgetretenen Stufen hinunterzugehen. Nach Alyssas Beschreibung hatte ich mit einem Pfad gerechnet, der sich an der Felswand hinabwand, aber der Weg zum Strand entpuppte sich als hölzerne Treppe, die sich in einem kaum besseren Zustand befand als der gesamte Rest der Ortschaft. Die hölzernen Stufen ächzten unter meinem Gewicht und die Idee, mich auf dem dünnen Geländer abzustützen, gab ich nach dem ersten

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