Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
nicht bemerkt zu haben, aber ich wusste mit unerschütterlicher Sicherheit, dass das Ding, das da vom Meer herankam, meine Anwesenheit sofort spüren würde. Und trotzdem rührte ich mich nicht, sondern wich nur ein kleines Stückchen weiter in den Schatten der Riffe zurück und beobachtete Joshua und die anderen. Sie rührten sich nicht. Joshua stand da, die Hände reglos ausgebreitet und das Gesicht nach Norden gewandt. Er hatte die Augen jetzt geschlossen und ich konnte sehen, wie seine Lippen weiter jene unheimlichen, nicht menschlichen Laute formten, ohne jedoch jetzt das geringste Geräusch zu hören.
Etwas Kaltes berührte meinen Fuß. Ich fuhr erschrocken zusammen, sah an mir herab und zuckte ein zweites Mal und deutlicher zusammen, als mir klar wurde, dass es Wasser war. Die wenigen flachen Tümpel, die ich auf dem Weg hierher bemerkt hatte, waren zu kleinen glitzernden Seen angeschwollen, die rasch und lautlos zusammenzuwachsen begannen, und auch zwischen den Füßen der Kinder auf der Felsenlichtung brach sich das Mondlicht jetzt auf schwarzem Wasser. Die Flut kam. Ich verstand nicht genug davon, um wirklich abschätzen zu können, wie viel Zeit mir noch blieb, aber ich ahnte, dass sie schnell kommen würde.
Und trotzdem blieb ich noch, wo ich war. Ich warf einen raschen Blick zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. Die Steilküste war nur als rauchiger Schatten in der Nacht zu erkennen, unmöglich zu sagen, ob sie hundert Schritte, eine halbe Meile oder zwei entfernt war. Aber ich konnte sie deutlich sehen und ich wusste, dass wir zum größten Teil einfach geradeaus gegangen waren. Das Felsenlabyrinth war gewaltig, aber nicht unüberwindlich; nicht einmal ein wirkliches Hindernis. Wenn ich rannte, würde ich den Weg zurück sicher in zehn, allerhöchstens fünfzehn Minuten bewältigen können. Und schlimmstenfalls war ich ein ganz guter Schwimmer. Was hier vorging, war zu unheimlich und zu wichtig, als dass ich jetzt einfach davonlaufen konnte.
Also versuchte ich nur – sehr vorsichtig, um mich nicht durch das Platschen meiner Schritte doch noch zu verraten – auf einen etwas höher gelegenen Felsen zu kommen, und beobachtete Joshua und die anderen weiter.
Wenn sie etwas taten, so konnte ich nicht sehen, was. Das Wasser stieg langsam, aber auch unaufhaltsam höher, erreichte bald ihre Knöchel, dann ihre Waden und begann sich den Knien der Gestalten zu nähern, ohne dass sich eine von ihnen rührte, ja, ohne dass eine von ihnen auch nur zu bemerken schien, was geschah.
Ein völlig verrückter Gedanke schoss mir durch den Kopf: War es möglich, dass Joshua diese Kinder hierher geführt hatte, um mit ihnen zu sterben? Die Idee war absurd, es gab überhaupt keinen Grund dafür und doch ließ mich der Gedanke nicht los, und wie konnte er auch, denn ich sah mit eigenen Augen, wie das Wasser höher und höher stieg. Mir war klar, dass mir die Zeit davonlief. Schon jetzt konnte ich mir eigentlich nicht mehr im Ernst einreden, die Küste und erst recht die Treppe nach oben auch nur halbwegs ungefährdet zu erreichen.
Dann bemerkte ich etwas, das mich die Gefahr durch das unaufhörlich steigende Wasser für einen Moment schlichtweg vergessen ließ.
Zwischen den Felsen, aber auch zwischen den noch immer im Kreis stehenden Gestalten der Kinder bewegte sich etwas. Im allerersten Moment hielt ich es für eine Täuschung, einen Lichtreflex auf den Wellen, dann für dünne Stränge von Seetang, die die Strömung herantrug. Aber es war nichts von alledem. Die Bewegung wurde deutlicher und zahlreicher; ein unablässiges Zucken, sich Schlängeln und Winden, ein Peitschen und Suchen, wie von tausenden haardünner Schlangen, die sich unter der Wasseroberfläche bewegten. Manchmal schien etwas aufzutauchen, aber es war immer zu schnell und zu dünn, als dass ich es wirklich erkennen konnte. Das Wasser war weiter gestiegen und reichte Joshua und den anderen jetzt fast bis zu den Hüften; und überall zwischen den reglosen Gestalten trieben jetzt ganze Büschel dieser unheimlichen, seetangähnlichen Substanz.
Mittlerweile war auch mein Hochstand wieder überflutet worden. Ich spürte die Kälte des Wassers an den Knöcheln, sah an mir herab – und vermochte diesmal einen erschrockenen Schrei nur im allerletzten Moment zu unterdrücken.
Auch überall um mich herum wimmelte es von schwarzer, zuckender Bewegung. Mit klopfendem Herzen und von dem fast sicheren Gefühl erfüllt, einen Fehler zu begehen,
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