Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
Anfang der alten Teerstraße schon wieder erreicht, ehe er ihre Gestalt als Schemen in der Dunkelheit vor sich wahrnahm. Er würde sich beeilen müssen, wollte er sie stellen, ehe sie das Dorf erreichte. Cohen hatte sie zwar ziemlich deutlich gesehen, war aber trotzdem nicht sicher, ob er sie am anderen Morgen wiedererkennen würde. Also beschleunigte er seine Schritte noch mehr.
Als er auf die Straße hinaustreten wollte, hörte er ein Geräusch.
Instinktiv blieb er stehen, glaubte eine Bewegung neben sich in den Büschen wahrzunehmen und prallte zurück. Das Geräusch wiederholte sich, lauter und vor allem näher diesmal – Schritte, das Brechen von Zweigen und das Rascheln von trockenem Laub, und Cohen machte einen weiteren Schritt in die Dunkelheit zurück und begriff im gleichen Augenblick, dass er nicht schnell genug war. Wer immer dort aus dem Wald trat, musste ihn einfach sehen, denn seine Gestalt hob sich deutlich gegen den Nachthimmel ab.
Aber er sah ihn nicht. Cohen duckte sich und erstarrte zur Reglosigkeit, während keine zwei Schritte neben ihm eine Gestalt aus dem Buschwerk trat und stehen blieb; und um die Sache völlig verrückt zu machen, blickte sich der andere auch noch aufmerksam um und starrte für eine halbe Sekunde direkt in Cohens Richtung. Trotzdem schien er ihn einfach nicht wahrzunehmen.
Vielleicht lag es daran, dass er sich nicht bewegte und nicht mehr als einer unter zahllosen anderen Schatten der Nacht war, wahrscheinlicher aber, dass die Aufmerksamkeit des Mannes einer anderen Gestalt galt, die sich in diesem Augenblick vom Dorf her kommend näherte. Im ersten Moment dachte Cohen, es wäre die Frau, die zurückkam, aber er erkannte seinen Irrtum schnell. Es war ein alter Mann, der sich mit kleinen, mühsamen Schritten und stark nach vorne gebeugt bewegte, als trüge er eine unsichtbare Last auf den Schultern, und in einen weit fallenden Mantel gehüllt war, sodass man seinen Umriss auf den ersten Blick für den einer Frau halten konnte. Er hatte weißes Haar, das zwar bis auf die Schultern herabfiel, trotzdem aber so dünn geworden war, dass er auf den ersten Blick beinahe kahlköpfig wirkte, und das älteste Gesicht, das Cohen jemals erblickt hatte. Er schätzte den Mann auf weit jenseits der Neunzig. Auch er ging nur wenige Schritte entfernt an ihm vorüber und auch er musste ihn eigentlich sehen – und auch er registrierte ihn nicht.
Die beiden wechselten kein Wort miteinander, sondern verständigten sich nur mit einem vertrauten Kopfnicken, und der jüngere Mann – der, der gerade aus dem Wald gekommen war – drehte sich herum und ging den Weg zurück, wobei er die Zweige und Äste des ineinander wuchernden Unterholzes für seinen Begleiter teilte. Trotzdem sah Cohen, welche Mühe es dem Alten bereitete, sich über die Wurzeln und Unkrautbüschel hinwegzuquälen.
Mit klopfendem Herzen stand er in der Dunkelheit da und lauschte, während das Brechen von Zweigen und das Geräusch der Schritte leiser wurde. Cohen wartete sicherlich zwei Minuten, dann erst wagte er sich aufzurichten und den beiden zu folgen.
Der Weg, den sie genommen hatten, war nicht schwer zu finden, denn was wie eine schier undurchdringliche Mauer aus Unterholz aussah, war nur eine schmale Barriere, hinter der sich die Teerstraße fortsetzte; zwar überall von Wurzeln und grünen Halmen gesprengt, aber doch längst nicht so zerfallen, wie es von außen den Anschein gehabt hatte. Cohen blieb noch einmal stehen und sah sich um, soweit es im schwachen Licht im Inneren des Waldes möglich war, und was er erblickte, erhärtete seinen Verdacht – die Straße war an dieser Stelle gewaltsam beschädigt worden und einige der Büsche und jungen Bäume schienen sogar eigens angepflanzt worden zu sein, um den Eindruck zu erwecken, dass der Weg hier endete. Jemand hatte sich große Mühe gemacht, die Fortsetzung der Straße (und vermutlich das, wohin sie führte) vor allzu neugierigen Blicken zu schützen.
Sehr vorsichtig ging Cohen weiter. Er bewegte sich langsam, denn er wollte die beiden nicht ganz aus Versehen einholen. Trotzdem wurden die Geräusche der Schritte allmählich wieder lauter und nach nur wenigen Minuten sah Cohen zwei Schemen vor sich. Jetzt hörte er auch Stimmen. Die beiden redeten miteinander, allerdings so leise, dass er die Worte nicht verstehen konnte. Er blieb wieder stehen, zählte in Gedanken bis Hundert und ging dann weiter.
Cohen schätzte, dass er auf diese Weise etwa eine Meile
Weitere Kostenlose Bücher