Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
(Inar in Wirklichkeit) sah sich mit grünen Flügeln ausgestattet und zum Oberhaupt einer liebenswerten Vampirfamilie erkoren. Dasselbe Rezept wandte Bradbury später in Romanen wie »Dandelion Wine« (»Löwenzahnwein«, 1957) oder »Something Wicked this Way Comes« (»Das Böse kommt auf leisen Sohlen«, 1972) an.
Die Große Depression kostete Rays Vater seinen Arbeitsplatz. Hoffnung auf neue Beschäftigung trieb ihn wie Hunderttausende anderer Amerikaner mit seiner Familie westwärts. 1932 zogen die Bradburys nach Tucson (Arizona), 1934 nach Los Angeles. 1937 kam Ray in Kontakt mit der Los Angeles Science Fiction Society. In einer autobiografischen Notiz spielte Bradbury später selbstironisch auf die stilistische Hilfestellung an, die etablierte Autoren ihm dort angedeihen ließen, ebenso wie auf langjährige Schwierigkeiten bei der Unterbringung seiner Texte, während er davon lebte, an der Ecke Olympic Boulevard und Norton Avenue Zeitungen zu verkaufen:
»Kuttner und Hamilton und Brackett und Heinlein, Rocklynne und Williamson sind sämtlich rank und schlank vom jahrelangen Ausbüchsen durch den Hintereingang ihrer Wohnungen, immer wenn Ray Bradbury mit einem neuen Manuskript zwischen den Zähnen zur Vordertür hereingeschneit kam.«
Ray Bradbury (1920–2012)
Eine enge Freundschaft entwickelte sich zwischen Bradbury und der fünf Jahre älteren Leigh Brackett (1915–1978). Bereits in Waukegan, dann wieder in Tucson war Bradbury auf die Marsromane von Edgar Rice Burroughs gestoßen: »Es war Liebe auf den ersten Blick«, so Bradburys Biograf Sam Weller. Leigh Brackett hatte gerade begonnen, angelehnt an Burroughs ihr eigenes Mars-Szenario zu entwerfen: Uralte Stadtstaaten am Rande ausgetrockneter Ozeanbecken; in der dünnen Luft der lockende Klang winziger Glöckchen, die die Frauen trugen, halb Indianerinnen, halb Mexikanerinnen nachempfunden; barbarische Nomadenstämme, die aus den Wüstengebieten in die Städte kamen; nie gesehene Geschöpfe, bösen Zauberern ähnlich oder guten Feen, die in entlegenen Winkeln am Süd- oder Nordpol des Planeten existierten. Intrigen, Leidenschaft, Kampf, Gefangenschaft, Folter und Flucht wechselten sich auf den Seiten der wild bewegten Geschichten Bracketts ab, die sie und Bradbury, am Strand von Santa Monica in der Sonne liegend, diskutierten.
Brackett machte ihn mit Raymond Chandler und Dashiell Hammett bekannt. 1946 verfasste sie mit William Faulkner das Drehbuch für den Howard-Hawks-Film Der tiefe Schlaf nach Chandlers gleichnamigem Roman, mit Humphrey
Bogart und Laureen Bacall in den Hauptrollen. Die Novelle »Lorelei of the Red Mist«, die sie für Planet Stories begonnen hatte, konnte sie bei solcher zeitlichen Beanspruchung nicht mehr beenden; Bradbury schrieb sie zu Ende. Sie trug ihm, gemeinsam mit Brackett, sein erstes Titelbild ein.
Der 25-jährige Ray Bradbury (zweiter von links) und die 30-jährige Leigh Brackett (rechts). Zwischen den beiden Edmond Hamilton, links außen Hamiltons Schwester. Brackett und Hamilton heirateten ein Jahr später.
Während seine Fantasy- und Horrorerzählungen von 1942 an in Weird Tales , seine Kriminalgeschichten ab 1944 in Detective Stories erschienen, tastete Bradbury sich langsam an eine eigene Marsvision heran. »Das Millionen-Jahre-Picknick« ( Planet Stories , 1946) machte den Anfang. 1948 folgten binnen eines Jahres »Scheint der Mond in heller Pracht«, »Die Männer von der Erde«, »Die dritte Expedition«,
»Schlechte Saison«, allesamt entweder in Planet Stories oder Thrilling Wonder Stories . Wie von selbst fügten sich diese Kurzgeschichten nach und nach zu einem Mosaik zusammen – einer Chronik, die beschrieb, wie die Amerikaner in atomgetriebenen Raketen als neue Pioniere auf den rötlichen Planeten strömen und der marsianischen Zivilisation den Todesstoß versetzen. Sam Weller zitierte später aus einem ungedruckten, 1950 entstandenen Essay:
»Ich beschloss, dass die Besiedlung des Mars und die Besiedlung des amerikanischen Westens sich in bestimmten Elementen ähneln sollten … Der Mars sollte der neue Horizont sein, nachdem die Pioniere am Ufer des Pazifik angelangt waren.«
Mit Bildern, die sich tief im kulturellen Gedächtnis einprägten, schilderte Bradbury, wie die Siedler ihre irdischen Probleme zum Mars mitbrachten: Rassismus, Zensur, Raffgier, Umweltzerstörung. Und noch ein Thema machte er sich zur selben Zeit zu eigen, verband es mit der Schilderung des Aufbruchs zum Mars: das
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