Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Unterschied zu den Primaten – durch eine bestimmte Anzahl emotionaler Prototypen ausgezeichnet sind. Unabhängig von allen möglichen Kulturen, vom Nordpol bis nach Kapstadt. Überall haben die Menschen dieselben emotionalen Gesichtsausdrücke.
F: Eine Fähigkeit, die nach neueren Erkenntnissen bereits pränatal angelegt zu sein scheint.
A: Fest kodiert, könnte man sagen. Hierbei geht es um Mustererkennung, also einen Gesichtsausdruck zu erkennen. Nun könnte man sich eine Technik vorstellen, die auf den ersten Blick nichts mit unserer Art der Emotionserkennung zu tun hat: etwa eine Wärmebildkamera, die die unterschiedlichen Durchblutungsmuster von Gesichtsausdrücken erkennt – neuronale Netze sind Weltmeister im Erkennen unterschiedlicher Muster –, und man hätte eine Unterscheidung von Freude, Trauer, Ekel, was auch immer. Wir haben bereits derartige Systeme, die im Sinne des Turing-Tests von menschlichen Verfahren nicht zu unterscheiden sind, nur eben anders funktionieren. Im Sinne der »starken K.I.« könnte ein System auch empfinden, indem es die Emotion erzeugt. Auch dazu gibt es Ansätze. In einem einfachen System, einem neuronalen Netz, versuchte man bereits vor Jahren, das Verhalten von Kleinkindern zunächst zu simulieren. Hierzu kann man sich die emotionalen Prototypen als Knoten in einem Netzwerk vorstellen. In der Tat ist es ja so, dass wir nicht immer entweder freudig erregt
oder total traurig sind, sondern in verschiedenen Graden. Unsere emotionalen Prototypen stehen also in Wechselwirkung zueinander wie Knoten in einem Netz und gehen mal rauf, mal runter. Erhalte ich zum Beispiel eine traurige Nachricht, dann dämpft das meinen Freudepegel, während der Trauerpegel zunimmt. Nun könnte man sich einfache Gleichungen überlegen, die zum Beispiel die Intensität von Freude zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmen – in Abhängigkeit der Wechselwirkung mit den anderen emotionalen Prototypen zu diesem Zeitpunkt, hemmend oder verstärkend –, dann könnte man auch noch andere Einflüsse des Körpers hinzurechnen, und, da es eine zeitabhängige Entwicklungsgleichung ist, auch noch den Zustand zu einem vorherigen Zeitpunkt als bestimmend für den jetzigen emotionalen Zustand. Da es endlich verschiedene Emotionen gibt, hätten wir endlich viele Gleichungen – für jeden Emotionstyp eine Gleichung –, die zusammen sozusagen für jeden Zeitpunkt den gemischten emotionalen Zustand dieses Systems produzieren. Nun würde man sagen, das ist zunächst nur Software, Mathematik, aber nichts könnte uns daran hindern, etwa auch ein neurochemisches System zu bauen, das in der Lage ist, entsprechende Emotionen zu erzeugen. Das wären dann vielleicht nicht unsere menschlichen Empfindungen, weil die Körperlichkeit anders realisiert ist, aber es wären Arten von Empfindungen, so wie auch andere Organismen unterschiedliche Empfindungen haben. Sie sehen, ich verwende hier wieder meine Grade, diesmal auf emotionalem Gebiet. Man kann jetzt darüber streiten, wie sinnvoll es ist, etwas Derartiges zu bauen. Ich will damit nur demonstrieren, dass es im Prinzip möglich wäre, es zu realisieren. Damit hätten wir auch Beispiele, die zeigen, dass starke K.I. durchaus denkbar und keineswegs prinzipiell ausgeschlossen ist.
F: Es gibt ja, im Hinblick auf Leibniz und die erwähnten Grade, in der Philosophie einen alten Diskussionspunkt, nämlich das sogenannte Leib-Seele-Problem: Wo ist die Schnittstelle, an der aus etwas Leiblichem, Physischem etwas »Geistiges« wird? Der deutsche Mathematiker Gunter Dueck, der sich ebenfalls mit K.I. befasst, sagt etwa, dass wir Empfindungen und Bewusstsein im Grunde nur erfahren können, weil unser Körper Tausende Sensoren enthält, über welche wir die biophysische Welt wahrnehmen und deren »analoge« Signale in »digitale« Signale umwandeln. Wie sehen Sie dessen Abbildung in der K.I.-Forschung?
A: Nun, ich bin ein strikter Kritiker des Dualismus. Ich halte ihn für kein nützliches Denkmodell, im Gegenteil: Er hat uns häufig behindert. Und es ist eine Ideologie, die typisch ist für unsere westliche Tradition. Diese Denkbarriere, die wir uns im Laufe unserer eigenen Geistesgeschichte aufbauten – vor allem verstärkt durch Descartes –, diese Probleme sind hausgemacht. Diese Probleme haben unsere Kolleginnen und Kollegen in Asien nicht. Die Vorstellung, die ich favorisiere, dass es sozusagen graduelle »Beseelung« gibt, die wir in Asien finden und die übrigens
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