Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
für mich überhaupt nichts Besonderes. Aber die Technik arbeitet, das ist ganz wichtig, meistens anders als wir: Dem Ingenieur ist es völlig piepegal, ob sein System nach dem Vorbild der Evolution arbeitet, entscheidend ist für ihn, dass am Ende ein Problem effektiv gelöst wird.
F: Diese Definition entspricht nun eher der »schwachen« K.I. – ein Computer kann bestimmte menschliche Teilleistungen
simulieren – und weniger der »starken K.I.«, nach welcher ein eigenes, künstliches Bewusstsein entwickelt werden soll. Stimmen Sie überein, dass für unser tägliches Leben die schwache K.I. völlig ausreichend ist?
A: Ja, es ist eine brauchbare These für die Praxis und im Grunde arbeiten wir auch so. Wobei aber die schwache K.I. in der Tat nur darauf abzielt, Intelligenz des Menschen zu simulieren. Das ist im Grunde aber nicht die Intention der Technik. Sie soll nicht die menschliche Art der Problemlösung simulieren, das machen ja die Menschen selber. Sondern es geht darum, ein System zu schaffen, das eine bestimmte Aufgabe besser löst als der Mensch und vielleicht mit einem ganz anderen Verfahren. Schauen wir unsere Fahrzeuge an: Die laufen bekanntlich auf runden Rädern und mit einem Motor ganz anders als Organismen. Oder wenn man sich die ersten Flugzeugentwürfe ansieht: Da stellte man sich irgendwelche Kisten mit den Körpern von Vögeln vor – vorne waren sogar vogelähnliche Köpfe angebracht, so ähnlich wie Galeonsfiguren bei Schiffen usw. Davon kam man völlig ab, und erst dann hatte man Erfolg: Als man die Gesetze des Fliegens ausgenutzt hat und Maschinen entwickelte, die neue Lösungen brachten, welche die Evolution nicht produzierte. Das heißt, wir simulieren nicht die Evolution, sondern nutzen ihre Gesetze. Das, denke ich, ist heute auch die Strategie der Technik und wird vor allem die Strategie der K.I. in Zukunft sein.
F: Besitzt demnach der klassische Turing-Test überhaupt noch Relevanz?
A: Ja, natürlich. Er ist passend, wenn man die Problemlösungsverfahren und Algorithmen mit menschlichen Fähigkeiten vergleicht. Da macht er durchaus Sinn. Aber ich denke, dass die Aufgabe der Technik im Sinne der K.I. eigentlich weiter geht. Wobei ich auch schon mit dem Wort »künstlich«
ein Problem habe. Was ist eigentlich künstlich? Eine alte Unterscheidung, die aus der Antike kommt, von Aristoteles, der sagte, dass die Organismen sich selbst bewegen, jedoch alles, was von außen bewegt wird, das »Künstliche« ist, das »Technische«. Das entspricht ja auch unserer Alltagserfahrung. Aber wenn ich mir heute technische Systeme ansehe, die zum Teil nach natürlichen Vorbildern gebaut sind – in der Bionik etwa – und dann in nächsten Schritten ähnliche Aufgaben lösen wie in der Evolution, aber mit ganz anderen Verfahren, dann frage ich mich, was hier das »Künstliche« und das »Technische« eigentlich noch soll. Ein Beispiel aus der modernen Biologie, der synthetischen Biologie. Diese hat das Ziel, lebende Organismen zu bauen, nicht nur zu modellieren. Das ist längst keine Science Fiction mehr: Wir sind bereits dabei. Wir stellen Zellen her, die Funktionen des Lebens haben, allerdings für technische Zwecke. Es sind die sogenannten »Minimalzellen«, auf die ich anspiele, das heißt, man nimmt eine lebende Zelle, stellt in dieser Funktionen ab, die nicht unbedingt notwendig für sie sind, reduziert sie quasi auf ein Minimalprogramm des Lebens, genannt »Chassis«, also Fahrgestell. Und dann werden Funktionen für bestimmte technische Zwecke eingebaut, zum Beispiel baut man ein Bakterium, das in der Lage ist, Giftstoffe zu erkennen. Oder Bakterien, die verschmutztes Wasser reinigen können. Da kann man sich auch leicht vorstellen, dass man solche Zellen für nicht so nette Zwecke baut. Nämlich für Kriegstechnik. Schließlich kann man Gewebe züchten, eines Tages sicher Organe, bis hin zu Gehirngewebe, neuronales Gewebe. Mit anderen Worten: Wenn wir hier in München Martinsried die LMU oder die TU Weihenstephan betrachten, das sind Zentren der Life Sciences , dort wird tagtäglich im Labor Leben hergestellt. Dabei fragt man sich: Ist es natürlich oder künstlich? Das, was da hergestellt
wird, funktioniert nach Gesetzen der Biologie, so wie in der Mechanik Systeme nach den Gesetzen der Physik funktionieren. Allerdings handelt es sich um Systeme, die es so in der Evolution bisher nicht gab. Nur die Naturgesetze, die Spielräume, sind vorgegeben. Was ich sagen will, ist: Was wir
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