Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
auch Leibniz vertrat, der auch große Sympathie für die asiatische Welt hatte – wenn man diese Auffassung vertritt, dann hat man nicht das Problem, dass hier der Körper ist und dort die Seele. Man beobachtet dann bestimmte Abläufe, in denen sich mentale Fähigkeiten zeigen, die wir als »geistig« bezeichnen. Bei uns im Abendland klingt mit dem Wort »Geist« immer mit, es wäre irgendeine getrennte Substanz. Das ist aber eine künstliche Abstraktion, die vor allem aus der platonischen und theologischen Interpretation kommt. Aristoteles hingegen hat diese Art von Unterscheidung nicht betrieben, sondern betont, dass es sich um Abstraktionen handelt. Es wäre interessant, hier auf Aristoteles’ Entelechie-Begriff einzugehen,
der sehr nahe an unseren heutigen physiologischen Funktionsabläufen liegt – aber das wäre ein anderes Thema. Um zurückzukommen zu den Fragen des Bewusstseins: Dazu müssen wir auf die moderne Gehirnforschung eingehen. Und auch hier lehne ich den Dualismus strikt ab, und zwar weil er als Arbeitshypothese hinderlich ist. Bewusstsein ist zunächst mal keine getrennte Substanz. Durch diese Annahme stand man jahrhundertelang vor dem Problem, wie kann man Immaterielles mit dem Materiellen in Verbindung bringen? Diese altertümliche Terminologie von »materiell« und »immateriell«: forget it . Heute sieht es so aus, dass – laut Messtechnik – unser Gehirn ein Organ ist, in dem Neuronen feuern oder nicht feuern, also Zellen sich elektrisch entladen oder ruhen. Wenn wir die Zellen messen, bekommen wir zunächst mal nichts anderes als ein Rauschen. Erst auf höheren Ebenen, wenn wir Clusterbildungen und Durchblutungen untersuchen – nicht nur einzelne Zellen –, dann erkennen wir Musterbildung. Das ist die Ebene zum Beispiel unserer heutigen PET-Verfahren, der Positron-Emission-Tomography. Hierbei sehen wir, wie unter bestimmten Umständen Zellverbände gemeinsam feuern. Sie bilden Cluster, die überraschenderweise korreliert sind mit mentalen Fähigkeiten: Wahrnehmung, Denken, Fühlen, Emotionen, Bewegungsabläufe. Typische Muster, relativ robuste Cluster, aus denen wir erkennen können, ob sich jemand konzentriert, nachdenkt, redet und so weiter. Das ist Stand der heutigen Mess- und Beobachtungstechnik. Wir nehmen aber nicht nur äußere Zustände wahr und bilden sie auf unserer »Kamera« der Sehfelder im Hinterkopf ab, sondern – und jetzt kommt der erste Schritt zum Bewusstsein – wir beobachten uns auch selbst bei der Wahrnehmung. Es gibt sozusagen nicht das Bewusstsein, sondern es gibt ein Wahrnehmungsbewusstsein …
F: … also auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion, über die Computer nicht verfügen.
A: Ja, die Selbstwahrnehmung der Wahrnehmung. Im Sinne unserer Arbeitshypothese müssten wir für diese Selbstwahrnehmung wieder ein Areal finden, das dafür verantwortlich ist. Und dann könnten wir auch darüber wieder reflektieren.
F: Ein iterativer Prozess.
A: Genau, das würde bedeuten: Diese Iterationen sind jeweils eingebettet in bestimmte Areale des Gehirns. Aber das, muss ich jetzt sagen, ist eine Arbeitshypothese. Wir kennen einzelne, daran beteiligte Areale, aber den Gesamtprozess kennen wir noch nicht. Wir haben sozusagen einen guten Forschungsweg, wie wir das entschlüsseln können, und erste neuronale Verbände, die an diesen ersten Bewusstseinsschritten beteiligt sind, sind zum Beispiel die bekannten Spiegelneuronen. Primaten erkennen sich selbst, während etwa Hunde das nicht können. Hier gibt es Areale, die für dieses Selbsterkennen aktiviert werden.
F: Wie verhält es sich dann mit dem Bewusstsein selbst?
A: Bewusstsein ist wiederum kein Zustand, der wie Licht ein- und ausgeschaltet wird, sondern ein gradueller Vorgang, bei dem etwa die Medizin unterscheidet zwischen bestimmten komatösen Zuständen bis hin zum hellen, konzentrierten Bewusstsein wie etwa bei unserer Diskussion im Moment. Welche Areale hieran beteiligt sind, lässt sich wissenschaftlich überprüfen, indem man mit bestimmten Medikamenten gezielt Areale beeinflusst, sie ausschaltet oder dämpft und die Auswirkung beobachtet. Was ich sehr bemerkenswert finde, ist hierbei die menschliche Unterscheidung von erster, zweiter und dritter Person. Dahinter steht die menschliche Fähigkeit, »Ich« und »Du« zu unterscheiden. Wir sehen heute in der Entwicklungspsychologie genau, ab wann Menschen dazu in der Lage sind. Dies geschieht in
einem kommunikativen Prozess. Irgendwann ist ein
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