Hi, Society
ist. Es ist Erik. Seit er diesen neuen Fall übernommen hat, ziehe ich ihn immer damit auf und so wie er klingt, hat er, wie bereits die vergangenen zwei Wochen, auch die letzte Nacht ohne Unterbrechung daran gearbeitet.
»Eine Kreativ-Pause im Schwarzen Kameel.« Er räuspert sich. »Und du?«
Ich sehe schuldbewusst auf den Masaro-Mount-Everest zu meinen Füßen. »Ein wenig die Zeit bis zum Flug totschlagen«, sage ich möglichst locker. »Das übliche Kulturprogramm eben.«
»Verstehe!« Ich höre im Hintergrund ein Rascheln. »Dann bist du im Louvre oder im Musée d’Orsay?«
»Bei Masaro.«
»Ist das auch ein Impressionist?«
»Eher ein Expressionist, würde ich sagen. Er bringt seine Liebe zu uns Frauen in seinen Kunstwerken zum Ausdruck«, sage ich und hoffe, dass er nicht weiter bohrt.
»Dann sind es Bilder?«
»Schuhe«, nuschle ich so undeutlich wie möglich, begleitet von einem deutlichen Zischen, gerade so, als läge ein schlimmer Verbindungsfehler in der Telefonleitung – schließlich hat mein Mr. Heart Attack schon genug Stress mit seinem Job, da soll er sich nicht auch noch wegen ein Paar Pumps aufregen.
»Elli!« Seine Stimme klingt irritiert. »Wir waren uns doch einig, was deine Ausgaben für Schuhe anbelangt?« Ich höre praktisch, wie sich Eriks Stirn in Falten legt und erinnere mich mit äußerstem Unbehagen an unsere letzte Stiletto-Diskussion vor einigen Wochen.
»Ich habe nicht vor, unüberlegte Ausgaben zu tätigen«, stelle ich beleidigt fest und schiebe den Kartonberg zu meinen Füßen ein wenig zur Seite.
Ich meine, was denkt er von mir? Dass ich nichts Besseres zu tun habe, als geradewegs den nächstbesten Schuhladen zu stürmen, sowie er außer Sichtweite ist?
Hallo? Wie wäre es mit ein wenig Vertrauen? Hat er etwa vergessen, dass ich mich geändert habe, dass auch ich in Zeiten der Rezession meine Investitionen grundlegend überdenke? Wenngleich ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen möchte, dass meine High Heels trotz Börsencrash noch alle im obersten Regal stehen, was man von Eriks Aktien ja nicht gerade behaupten kann. Ich weiß gar nicht, warum er bei dem Thema Schuhe dazu tendiert, dermaßen empfindlich zu reagieren? Weil ich mir nämlich durchaus dessen bewusst bin, dass wir in einer schwerwiegenden und unausweichlichen Krise stecken. Es wäre also überhaupt nicht notwendig gewesen, mir diesen umfassenden Eurokrisenvortrag direkt vor der Louis-Vuitton-Vitrine am Kohlmarkt zu halten, bloß weil ich das nougat-braune Kalbsleder-Portemonnaie so schön fand.
Ich bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass das Leben kein Ponyhof, Österreich kein verdammtes Shopping-Wonderland und der Staatsbankrott eine ernstzunehmende Angelegenheit ist. Ein einfaches Nein hätte mir völlig ausgereicht.
Es war wirklich total überflüssig, mir die halbe Wikipedia-Definition von Sparen runterzubeten, bloß weil ich die ganze Situation ein wenig auflockern und meinen Mr. Börsenaufsicht auf eine Versöhnungsmelange zum Meinl am Graben einladen wollte. Als hätte eine Tasse Kaffee mit Milchschaum schon jemals jemanden in eine finanzielle Notlage gebracht.
Also wenn ich’s mir recht überlege, bin ich nicht mehr ganz so sicher, ob Erik tatsächlich so viel vom Finanzmarkt versteht, wie er immer tut. Aber ich rede ihm da natürlich nicht drein. Weil doch jeder weiß, dass bloß Männer etwas verstehen von Autos, Finanzen und Frauen – und man sie tunlichst auch in diesem Glauben lassen sollte.
Also erzähle ich ihm auch nichts von meinem wohl überlegten Investitionsportfolio.
Tja, da staunen Sie, was?
Ich habe das aus dieser Finanzsondersendung, der RTL-Exclusiv überraschend zum Opfer gefallen war.
Mein Nagellack war noch am Trocknen, ergo konnte ich den Knopf der Fernsteuerung nicht drücken und folgte mit zweigeteilter Aufmerksamkeit den Worten dieses Investmentspezialisten: »E ine besonders originelle und auch schöne Art Geld anzulegen, stellt die Investition in Sachwerte dar … blablabla … Sachwerte, die voraussichtlich nicht von einem Wertverlust betroffen sind und eine möglichst lange Haltbarkeit haben. Wer sein Geld so anlegen möchte, sollte über das nötige Fachwissen verfügen. Neben dem materiellen Wert kann diese Art der Geldanlage viel Freude bringen.«
Voilà! Da war sie. Zwischen einem Auftrag Dior-Lucky-Lack und den Promi-News, die Lösung für die Wirtschaftskrise. Ich musste bloß über genügend Fachwissen verfügen und intelligent investieren,
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