Hi, Society
gab es da noch jemanden, der ihm einen Gefallen schuldete, noch war es nicht zu spät.
KAPITEL 5
»D
u bist zu spät!«, versuche ich mich von Sophies guter Stimmung nicht einlullen zu lassen und schenke ihr den gleichen eisernen Blick wie damals unsere militärgestrenge Turnprofessorin, wenn wir ihr zum dritten Mal im gleichen Monat unsere selbstgeschriebene Entschuldigung (›dem Schwimmunterricht wegen Regelschmerzen fernzubleiben …‹) unter die Nase hielten, während Sophie bloß vergnügt »Hi Süße! Comment ç a va?«, quietscht und mir einen dicken Schmatzer auf die Wange drückt. Sie sieht fantastisch aus, très parisienne, in ihrem pastellfarbenen Moschino-Kostüm im Fifties-Look, dem Strahlen im Gesicht und Le Figaro unterm Arm.
»Also, raus mit der Sprache, was hast du getrieben?«
»Du solltest mich lieber fragen, mit wem!«, wirft sie mir einen amüsierten Blick zu und lässt sich derart schwungvoll auf das royalblaue Luis XIV-Sofa fallen, dass Maestros entzückend-sanftmütige Assistentin Audrey, welche eben noch hinter ihrem ebenfalls in Teak gehaltenen Schreibtisch am anderen Ende des Raumes nach den Utensilien für Sophies Braut-Pumps kramte, vor Schreck beinahe das kunstvoll auf ihren zarten Armen gestapelte Schuhhandwerkszeug an Maßbändern, Holzmodellen und Leisten fallen lässt.
»Hallo!«, kreische ich echauffiert, ohne dabei Audreys glückenden Balanceakt aus den Augen zu verlieren. »Ich habe zwei Wochen damit zugebracht, die Einladungen für deine Bacheloretteparty in Courier-Kalligraphie zu adressieren, in unserer Küche lagern zwei überdimensionale Holzkisten bis zum Rand gefüllt mit weiß gezuckerten Wiener Mandeln und was machst du?«
»Jetzt komm wieder runter, es war Massimo.«
»Wie Massimo? Ich dachte, er ist in New York.«
Sie nickt. »Bis gestern. Und bis vor zehn Minuten … in mir.«
»Na toll, jetzt können wir uns den Weg zu Ladurée sparen. Die Lust auf Schokolade ist mir hiermit offiziell vergangen.«
»Als ob auch nur irgendeine Himmelsmacht dazu in der Lage wäre, dich davon abzuhalten, diese Pariser Plaisir-Bomben in dich reinzustopfen.« Sie rollt ungläubig ihre Augen, während ich erfolglos überlege, was ich eigentlich zu meiner Verteidigung vorbringen könnte, während sie bereits weiter ausholt.
»Und seit wann bist du überhaupt so zimperlich, Libido-Lisabeth?« Sie wirft mir einen herausfordernden Blick zu und zum Glück kommt eben Audrey, die Assistentin des Maestros, bis über beide Cartier-Creolen bepackt mit unterschiedlichsten Stapeln an Materialmustern von erlesenem Elfenbein bis zartem Champagner und hinreißend filigranen Absatzentwürfen, engagiert auf uns zugesteuert.
»Alors, das Sortiment der Werkstoffe.« Sie drückt Sophie einen dicken Musterstapel aus elegant schimmernder Seide, kunstvoll gewebtem Brokat, glatt glänzendem Satin sowie unzählbaren feinsten Lederarten in die Hand und wir beginnen sofort damit, unsere Hände über die feinen Oberflächen gleiten zu lassen.
»Und alles klar bei dir?«, fragt Sophie und sieht auf. In ihrer Hand schimmert ein Rosenblüten geprägtes Peccary-Leder in edlem Metallton.
»Alles bestens!«, sage ich betont fröhlich und überhöre den zweifelhaften Ton in ihrer Stimme, während ich mich erneut dem venezianischen Seidenbrokat-Stoff in meiner Hand widme.
»Du willst nicht darüber reden?« Sophies Stimme klingt ernst und ich spüre augenblicklich einen Knoten in meinem Hals, von dem mich auch nicht dieses zauberhafte, mit unzähligen Swarovski-Kristallen bestückte, nude-farbene Chamois-Leder in meiner Hand abzulenken vermag.
Seit zwei Monaten wollen alle mit mir darüber reden, aber ich will nun mal nicht. Zumindest mit niemandem außer Erik und der will wiederum mit mir nicht reden. Also gehören wir zu den 31 Prozent und sprechen nicht darüber, und zwarseit wir vom Krankenhaus heimgekommen sind. Kein Wort.
»Hier. Sieht das nicht genial aus?«, versuche ich mich um eine Antwort zu drücken und strecke Sophie freudestrahlend das perlartig-glänzende Muster in meiner Hand entgegen.
»Das ist Perlrochen«, schaltet sich Madame Assistent augenblicklich ein, von der ich schon ganz vergessen hatte, dass sie direkt hinter uns steht, in Erwartung unserer Entscheidung.
»Extrêment außergewöhnlich, aber auch robust, langlebig und einfach in der Pflege.«
»Pink?« Sophie klingt weniger begeistert von meiner Farbwahl.
»Was ist schlecht an Pink?«
»Die Farbe zum Beispiel?« Sie
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