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Hier hat s mir schon immer gefallen

Titel: Hier hat s mir schon immer gefallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx Melanie Walz
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Meilen ebenen Geländes mündete der Weg in eine steile, gewundene Treppe aus Wurzeln und Steinen. Schmelzwasser hatte den Boden zu nackten Kieseln in glatter Erde abgeschliffen. Gegen Mittag weitete sich der Weg unversehens zu einem Blütenmeer - Akelei, Bartfaden, wunderschöne Clarkia, Sternmiere und Scharlachrote Kastillea.Voller Entzücken über die Bergwiese und einzelne Schneefelder in den nördlichen Klüften der Bergflanken ließ Catlin den Blick zu einem kleinen See schweifen. Die Landschaft war von bezaubernder Schönheit, doch selbst hier oben war es weniger kühl als erwartet. Die Sonne brannte heiß, Stechmücken und Schnaken umwirbelten Catlin in elliptischen Tänzen. Sie aß ihren Lunch im Schatten eines riesigen Felsblocks. Marc fehlte ihr nicht.
    Sie richtete den Blick nach Westen, zum Buffalo Hunter, dem höchsten Gipfel der Bergkette. Seine ganzjährige Schneehaube war geschmolzen, und der blassgraue Berggipfel lag obszön nackt da und flimmerte in den Wellen heißer Luft. Felsgestein, das seit Jahrhunderten kein Sonnenlicht gesehen hatte, war entblößt. Wieder ein heißer, trockener Sommer, an dessen Himmel windzerfetzte Wolken und Blitze aufzogen, aber kein Regen. Hin und wieder prasselten vereinzelte Regentropfen herunter, bevor die Wolken weiterzogen. Im nächsten Monat würde der Arizona-Monsun segensreichen Regen bringen, doch noch lag die Ebene ausgedörrt unter dem Himmel, die Gräser waren in Samen geschossen und zu sprödem, braunem Stroh verdorrt, das unter den Schritten knisternd zerbröselte. In den Bergen war die Hitze fast ebenso durchdringend wie in den Hügeln weiter unten, und der Erdboden war unbelebtes Geröll.
    Am Spätnachmittag war sie müde; sie schätzte, dass sie dreizehn bis vierzehn Meilen zurückgelegt hatte. Der Jade Trail verlief weitere sechzig Meilen, bis er in der Nähe einer Bergarbeitergeisterstadt endete. Von diesen Ruinen waren es nochmals vier bis fünf Meilen bis zur Landstraße. Catlin war zuversichtlich, dass sie die Strecke ohne weiteres in zehn Tagen bewältigen würde. Sie schlug ihr kleines Zelt neben einem namenlosen See aus Gletscherschmelzwasser auf. Als sie die Tütentomatensuppe aß, die sie mit heißem Wasser angerührt hatte, sah sie zu, wie Forellen an der Wasseroberfläche nach Insekten schnappten und vollkommene Kreise sich auf dem Wasser ausbreiteten, mit anderen wachsenden Kreisen verschmolzen. Die untergehende Sonne verzauberte die zahllosen Insektenschwärme über dem See zu einer glitzernden Wolke. Marc wäre zum Seeufer gegangen, um die Fische zu beobachten, aber vermutlich war er inzwischen in Griechenland. Eingedenk der guten alten Zeiten, in denen Wanderer unterwegs freigebig Brotkrumen und Kartoffelchips verteilt hatten, sah ein Meisenhäher Catlin erwartungsvoll an. Sie zerkrümelte einen Cracker für ihn und nannte ihn Johnson, zu Ehren von Big Train Johnson. Der Tag hinterließ einen rosig perlmuttschimmernden Himmel, vor dem sich der schwarze Berggrat abzeichnete, von Kiefernwipfelzacken wie Speerspitzen aus Obsidian gekrönt. Sie fürchtete sich nicht vor der Dunkelheit und lauschte den nächtlichen Geräuschen, bis der letzte verschwommene Rest Tageslicht im Westen vergangen war. Die Nacht war mondlos.
    Sie hatte auf einem Stein geschlafen und war im trüben Morgenlicht mit steifen, schmerzenden Gliedern erwacht. Sobald die Sonne aufging, heizten die Berge sich auf, und die wenigen übriggebliebenen Schneewehen schmolzen und sickerten in die plätschernden Rinnsale, die sich durch die Bergwiesen schlängelten. Die Schneereste bildeten bizarre Flecken, geformt wie ferne Inselgruppen, Spritzer vergossenen Joghurts, ungepflegte Beine, Schwanenschwingen. Kein Wind regte sich, und Stechmücken und Schnaken waren so aufdringlich, dass Catlin sich mit Insektenmittel einreiben musste. Sie machte ein paar Lockerungsübungen, setzte Teewasser auf, aß zwei der harten Eier aus ihrem Proviant und machte sich wieder auf den Weg. Die Eier hatten von ihren Fingern Insektenmittel angenommen, und der eklige, beißende Geschmack blieb ihr lange auf der Zunge.
    Sie wanderte an ein paar kleinen Seen vorbei, von den Kreisen aufsteigender Forellen gemustert, und dachte an Marc. Einen rauschenden Wasserlauf unter dem Weidengestrüpp konnte sie hören, aber nicht sehen, Wasser, das sich von den schmelzenden Schneemassen weiter oben ergoss. An jedem Rinnsal wucherten die zähen Bergweidensträucher. Die seichten Teiche von khakibrauner und

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