Hier hat s mir schon immer gefallen
jeansblauer Farbe spiegelten die Berggipfel und schwindenden Schneefelder wider. Manche Seen waren von dunklem, sattem Blau, das von bräunlichen Felsen am Seerand zu den Tiefen reichte, wo die größten Fische sich in der Kühle verbargen. Spuren an den Felsen verrieten, dass der Wasserstand der Seen früher ein bis eineinhalb Meter höher gewesen war.
DerWeg führte stetig bergauf und war so überwuchert, dass er auf lange Strecken in der Umgebung aufging. Zweimal kam Catlin vom Trail ab und musste eine Anhöhe erklettern, um seinen weiteren Verlauf zu erkennen. Sie hatte mittlerweile die höchste Stelle erreicht, wo es sieben, acht Meilen oberhalb der Baumgrenze entlangging, bevor der Weg den Westabhang hinunterführte. In dieser Gegend entfalteten große Felsplatten und schattige Felsmassive einen unerhörten Flechtenreichtum. Catlin wusste, dass die Flechten als kleine Chemiefabriken das Gestein zu Erde aufspalteten; manche von ihnen zogen sich wie Verfärbungen über den Stein, stickstoffabhängige orangegelbe Flechten an Stellen, wo Füchse uriniert hatten. Marc hatte einmal gesagt, Flechten seien möglicherweise die ersten Pflanzen der Erde gewesen und hätten über Millionen von Jahren die steinerne Oberfläche der Welt in den Erdboden umgewandelt, der Leben ermöglichte; die Flechten, die sie sahen, nagten noch immer an den Bergen. Bei ihren Bergwanderungen hatten sie Flechten in allen denkbaren Formen und Farben gesehen - Flammen, Geweihe, Flecken und grelleTupfen, Kartoffelchips, Kaviar, Geleekleckse, Maiskörner, grüne Haare, winzige Filzfäustlinge, Hautleiden, rosa geränderte Miniaturbecher. Sie hatten immer gesagt, dass sie sich mit Flechten vertraut machen wollten, und hatten es nie getan, wenn sie wieder zu Hause waren.
Auch die Felsen, die bis zu halber Höhe in einem Schleier von blühender Akelei verschwanden, waren so schön, dass es fast schmerzte, zu lange hinzusehen. Ein massiver, runder, roter Felsen, so groß wie drei Häuser, war mit erbsengrünen Flechten gesprenkelt. Sie kratzte mit dem Fingernagel an den Flechten, die sich nicht ablösen ließen. Auf den schmalen Vorsprüngen des Felsens wuchsen blühende Pflanzen. Die Vollkommenheit von Farbe und Ort, so erlesen und überwältigend, dass sie für den Betrachter nicht zu verarbeiten war, brachte große Traurigkeit mit sich, die Catlin sich nicht erklären konnte und einem urtümlichen spirituellen Instinkt zuschrieb. In dieser Wildnis war von Menschen nichts zu erkennen bis auf das ferne Surren vereinzelter Flugzeuge. Die Einsamkeit weckte existenzialistische Gedanken, und Catlin bedauerte den Streit mit Marc, der ihr mit jedem Schritt unbedeutender vorkam. Dennoch war sie nicht ungern allein. »Bringt die Sachen in das richtige Verhältnis, stimmt’s, Johnson?«, sagte sie zu dem Meisenhäher, der sie begleitete.
Am nächstenTag erreichte sie gegen Mittag einen kirchgroßen Felsblock in etwa dreißig Meter Entfernung zu einem bräunlichen See; eigentlich war es eher eine Klippe als ein Felsen, ein System verschachtelter, glitzernder, rosafarbener, hausgroßer Granitbrocken, die zu so großen Blöcken und Platten geborsten und zerbrochen waren, dass ein paar junge Kiefern genug Erde gefunden hatten, um zu überleben. Ihre unnachgiebigen Wurzeln würden den Felsen irgendwann sprengen. Der Erdboden zwischen Klippe und See war eine Ebene voller wagengroßer Steine, die sich von dem Felsen gelöst hatten. In einigen Meilen Entfernung ragten nackte, schotterbedeckte Bergflanken aus dem knorrigen Unterholz; das war die höchste Stelle des Jade Trail. Catlin wollte nicht am späten Nachmittag hinaufklettern und sich von der Dunkelheit genötigt finden, in der Gewitterzone zu übernachten. Schon jetzt schoben sich graue Wolken über die nackten Gipfel. Der höchste war auf der Karte als Tolbert Mountain bezeichnet. Die Sonne stand tief am westlichen Horizont. Catlin beschloss, nicht weiterzuwandern und ihr Lager aufzuschlagen. Sie nahm den Rucksack ab und ließ ihn zu Boden fallen, wo er mit metallenem Scheppern auftraf. An dieser Stelle querte der Weg eine mehrere hundert Meter breite Granitfläche. Es war ein herrliches Gefühl, vom Gewicht des Rucksacks befreit zu sein, und Catlin streckte sich.
Hoch oben an der rosafarbenen Klippe glaubte sie, Schriftzüge auszumachen - Initialen und ein Datum? Bergarbeiter und Reisende früherer Zeiten hatten schließlich überall Spuren hinterlassen. Sie beschloss, hinaufzuklettern und
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