High Fidelity (German Edition)
soll das, Mann?«
Er redet pausenlos, und fast alles, was er sagt, ist Geschwafel. Er redet viel über Musik, aber auch viel über Bücher (Terry Pratchett › Anmerkung und alles andere, in dem Monster, Planeten usw. vorkommen), Filme und Frauen. Pop, Girls, etc., wie es bei den Liquorice Comfits heißt. Aber seine Erzählungen sind bloße Auflistungen: Wenn er einen guten Film gesehen hat, wird er nicht den Plot erzählen oder seinen Eindruck schildern, sondern runterrasseln, wo der Film in seiner Jahresbestenliste rangiert, in seiner Bestenliste aller Zeiten, seiner Bestenliste des Jahrzehnts – er denkt und spricht in Zehnern und Fünfern, und deswegen tun Dick und ich das auch. Und er läßt uns auch noch die ganze Zeit Listen schreiben: »Okay, Jungs. Die fünf besten Dustin-Hoffman-Filme.« Oder Gitarrensoli, oder Platten von blinden Musikern oder Serien von Gerry und Sylvia Anderson › Anmerkung . (»Ich fass' es nicht, daß du Captain Scarlet auf Nummer eins hast, Dick. Der Typ war unsterblich! Was soll der Käse?«) oder Süßigkeiten, die es im Glas gibt (»Wenn einer von euch Rhabarber mit Vanillecreme unter den besten fünf hat, kündige ich.«).
Barry steckt eine Hand in die Tasche seiner Lederjacke, holt ein Tape hervor, steckt es in die Anlage und dreht die Lautstärke auf. Innerhalb von Sekunden wackelt der Laden zum Basslauf von »Walking On Sunshine« von Katrina and the Waves. Es ist Februar. Es ist kalt. Es ist naß. Laura ist weg. Ich will »Walking On Sunshine« nicht hören. Irgendwie paßt es nicht zu meiner Stimmung.
»Mach es aus, Barry.« Ich muß es brüllen wie ein Rettungsbootkapitän in tosender See.
»Lauter geht's nicht.«
»Ich sagte nicht ›lauter‹, du Arschgesicht, ich sagte ›aus‹.«
Er lacht und geht durch ins Lager, die Bläsersätze mitbrüllend: »DA DA! da da da da da-da da-da-da-da.« Ich mache es selbst aus, und Barry kommt zurück in den Laden.
»Was machst du da?«
»Ich will ›Walking On Sunshine‹ nicht hören.«
»Das ist mein neues Tape. Mein Montagmorgen-Tape. Ich hab's extra letzte Nacht aufgenommen.«
»Tja, wir haben verdammt noch mal schon Montagnachmittag. Du hättest früher aus dem Bett kommen sollen.«
»Und am Morgen hätte ich es spielen dürfen, was?«
»Nein. Aber so hab' ich wenigstens eine Ausrede.«
»Willst du nichts, was dich aufheitert? Was etwas Wärme in deine morschen, nicht mehr ganz jungen Knochen bringt?«
»Ne.«
»Was willst du denn hören, wenn du scheiße drauf bist?«
»Ich weiß nicht. Auf jeden Fall nicht ›Walking On Sunshine‹.«
»Okay, ich spul's vor.«
»Was kommt als nächstes?«
»›Little Latin Lupe Lu‹.«
Ich stöhne auf.
»Mitch Ryder and the Detroit Wheels?« fragt Dick.
»Nein. Die Righteous Brothers.« Man kann die Wachsamkeit in Barrys Stimme hören. Offensichtlich kennt er die Mitch-Ryder-Version überhaupt nicht.
»Oh. Oh, schön. Vergiß es.« Dick würde Barry nie ins Gesicht sagen, daß er ihn für ahnungslos hält, aber es ist klar, was er denkt.
»Was?« fragt Barry aufgebracht.
»Nichts.«
»Nein, sag schon. Was ist falsch an den Righteous Brothers?«
»Nichts. Ich ziehe die andere nur vor«, meint Dick versöhnlich.
»Scheißdreck.«
»Was ist daran Scheißdreck, eine Vorliebe zu äußern?« frage ich.
Dick zuckt die Achseln und lächelt.
»Was? Was? Was soll das selbstgefällige Lächeln?«
»Laß ihn in Ruhe, Barry. Ist doch egal. Wir hören uns sowieso nicht dein beschissenes ›Little Latin Lupe Lu‹ an, also laß es.«
»Seit wann herrscht in diesem Laden faschistische Terrorherrschaft?«
»Seit du das grauenhafte Tape angeschleppt hast.«
»Ich hab' nur versucht, dich aufzuheitern. Mehr nicht. Tut mir furchtbar leid. Leg doch irgendwelche alte, trostlose Stinkermusik auf, mir doch egal.«
»Alte, trostlose Stinkermusik will ich auch nicht. Ich will bloß was, was ich ignorieren kann.«
»Großartig. Das ist das Tolle daran, in einem Plattenladen zu arbeiten, was? Sachen zu spielen, die man nicht hören will. Ich dachte, dieses Tape könnte einen Diskussionsanstoß geben, verstehst du? Ich wollte euch nach euren fünf Lieblingsplatten für einen verregneten Montagmorgen fragen und so, aber ihr müßt ja alles versauen.«
»Wir machen's nächsten Montag.«
»Was soll das jetzt?«
Und so weiter und so weiter, wahrscheinlich für den Rest meines Berufslebens. Ich würde gerne eine Liste der besten fünf Platten machen, die einen überhaupt nichts empfinden
Weitere Kostenlose Bücher