High - Genial unterwegs an Berg und Fels
müssen, und ich bin fast sicher, dass wir’s versucht hätten, wenn wir früher in der Wand gewesen wären. Jetzt bin ich froh, dass wir es gelassen haben. Das Risiko, dass es nicht gut ausgeht, wäre zu groß gewesen.
Als wir nach dem zweiten Mal Klettern zurück nach El Chaltén marschierten, hatte es Pipa, einer der argentinischen Helfer, die sich um die Kameraleute kümmerten, ganz furchtbar eilig. Er musste einen Funkspruch an die Agentur absetzen, die um sieben zusperrt, und der letzte Punkt, von dem aus man El Chaltén per Funk erreichen kann, ist der Mirador Torre, der vom Dorf drei Kilometer entfernt ist. Wir kamen von der Schulter des Cerro und waren schon ziemlich fertig, aber Pipa schlug ein gescheites Tempo an, und da ich nicht wusste, dass er noch seinen Funkspruch absetzen muss, dachte ich, er will uns zeigen, wie gut er angasen kann. Und wenn einer angast, muss er damit rechnen, dass ich auch angase. Wir also im Laufschritt in die Ebene hinaus, von dort ist es noch einmal ein kurzer Aufstieg zum Mirador Torre, wir waren wirklich platt, als wir dort ankamen, übrigens kurz vor sieben. Pipa funkte, ich begriff und machte Pause.
Als die anderen nachkamen, feixte Daniel. »Hast dir’s wieder besorgen müssen mit dem Pipa. Das schaffen wir aber auch …«
Weg war er. Ich hörte nur noch, wie Daniel rief: »Schau mal, ob du mir nachkommst.«
Ich natürlich möglichst schnell hinterher, überholte ihn, Vollgas weiter. Es war nicht besonders steil, aber doch steil genug, und was wir uns lieferten, war nichts anderes als ein Sprint bergab. Ich sprang über eine Wurzel, dahinter ein Absatz, ein Baum, der an einer Felskante klebte, es ging ein Stück hinunter, und ich knöchelte mit dem rechten Fuß um, und weil ich gedacht hatte, ich würde mit dem rechten Fuß den Sprung nur abfangen und mit dem linken sofort weiterfedern, fuhr mein ganzes Gewicht in den umgeknickten Knöchel und zack – waren die Seitenbänder ab.
20 Sekunden später war Daniel da und hörte mich fluchen, und noch lauter hörte er mich fluchen, als ich versuchte zu gehen. Als ich sagte, »wird schon wieder, das tut nur am Anfang so weh«, tröstete ich mehr mich als ihn.
Ich humpelte den Rest der Strecke also mehr, als ich ging, war aber trotzdem nicht langsam, so weit geht das Leiden nicht. Als ich ankam, war der Fuß schon geschwollen wie ein Luftballon, doch weil ich keinen Bluterguss sah, dachte ich, die Bänder wären nur überdehnt. Zu Hause bei Eduardo lagerte ich den Fuß hoch und schmierte ihn mit Voltaren ein.
Am nächsten Tag ging gar nichts mehr – außer mit zwei Teleskopstöcken bewaffnet in die Cervecería zu humpeln.
Arzt gab es keinen, und hätte es einen gegeben, wäre ich nicht hingegangen. So schlimm war es nicht. Stattdessen bandagierte ich den Fuß mit rotem Tape und behandelte ihn mit einer halben Tube Voltaren am Tag. Zwei Tage später ging es schon wieder ein bisschen, und eine Woche später waren wir wieder am Berg. Zwar passte der Fuß fast nicht in den Bergschuh, aber wenn er einmal drin war und der Schuh fest zugeschnürt, dann passte es schon. Mit der Zeit vergisst man sogar, dass man mit einem Bänderriss unterwegs ist.
Der Zwischenfall hatte mich nicht ernsthaft erschreckt. Aber ich spürte gut, wie ausgesetzt wir auf diesem gigantischen Berg unterwegs waren. Es war klar, dass eine schwere Verletzung ziemliche Komplikationen zur Folge haben würde. Es war schlicht niemand da, der helfen konnte. In den wenigsten Fällen kann ein Hubschrauber fliegen, um einen Verletzten herauszuholen – wenn überhaupt einer vor Ort sein sollte. Der nächste Heliport ist in El Calafate, Minimum eine Stunde Anflugzeit, aber auch dort ist nur selten ein Hubschrauber. Normal ist, dass gar kein Hubschrauber fliegt, dann musst du sowieso selbst raus nach El Chaltén. Ein Beinbruch in der Bolt-Traverse, von der du mit zwei gesunden Beinen einen Tag bis nach Hause brauchst, und du musst abseilen und hinunterkriechen. Das war mir immer bewusst, und Daniel genauso. Klar, dass man sich darüber Gedanken machte. Aber solange der Fall nicht eintritt, ist es ja auch egal.
Am Tag, nachdem wir bis zur Bolt-Traverse geklettert waren, starb Fabio Giacomelli, ein hervorragender italienischer Alpinist, unter einer Lawine. Ein Argentinier informierte uns am Abend, als er gerade ein Team für die Bergung der Leiche zusammenstellte. Es war tragisch: Am nächsten Tag wäre Fabio im Flugzeug nach Hause gesessen, zu seiner Frau und
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