High - Genial unterwegs an Berg und Fels
dass wir denen da draußen beweisen wollten, wie gut wir waren, unterstützte er uns mit ganzer Kraft. Und sobald Reini gesagt hatte, okay, ich trainiere euch, zog er die Zügel an. Er war kein Larifari-Trainer. Er nahm die Sache ernst. Meistens zumindest. Er schrieb Trainingspläne, die fast nicht einzuhalten waren, weil er eh nicht glaubte, dass irgendwer das ganze Programm machen würde, und wenn doch, dann umso besser.
Fünf
Die Trainingslager in Arco waren die Höhepunkte des Jahres. In Arco, am nördlichen Ende des Gardasees, gab es Klettergärten mit Routen in allen Schwierigkeitsgraden, und es war eine Katastrophe für mich, als ich beim ersten Mal, als die Gruppe ins Trainingslager fuhr, nicht mitdurfte. Wieder war ich zu jung. Ich lag weinend auf meinem Bett und bemühte mich, jeden Tag zwei Tage älter zu werden.
Als ich im Jahr darauf mitfahren durfte, inzwischen acht Jahre alt, hatte ich das Gefühl, im Paradies zu sein. Wir wohnten auf dem Campingplatz. Die Eltern aller Kinder waren mit von der Partie, und wir waren den ganzen Tag am Fels. Mittagessen war gemeinsam mit den Eltern, es gab Salami- und Schinkenbrote und Eistee.
Der Fels des Klettergartens von Massone war genial. Die Touren waren länger als alles, was ich bisher geklettert war, und allein die Höhe der Wand machte mir Freude. Der Blick auf den See in der Ferne, die Wand hinunter, wo die Freunde im Seil hingen. Ich hätte mir keinen Ort der Welt vorstellen können, an dem ich lieber gewesen wäre.
Ich kletterte meine erste Tour im Schwierigkeitsgrad 8–.
Die Skala der Schwierigkeitsgrade geht von 1 bis 11+. In den sechziger und siebziger Jahren, zu Zeiten des Bergsteigers und Kultautors Walter Pause, galt »VI+« als oberstes Limit. Pause beschrieb diese Schwierigkeit mit einem »Gang an der Sturzgrenze für die besten Felskletterer in Hochform«. Ansonsten sind die Schwierigkeitsgrade eine Wissenschaft für sich. Auch wenn sie der Versuch sind, Herausforderungen objektiv zu bewerten, bilden sie eher die individuellen Stärken und Schwächen der Kletterer ab, die eine Route erstbegehen und die Wertung vorschlagen. Besonders in den obersten Schwierigkeitsbereichen gehen die Meinungen weit auseinander.
Meine 8- passierte mehr oder weniger zufällig. In Arco waren alle Routen, die wir kletterten, Einseillängen-Routen. Das hieß, derjenige, der sichert, stand am Boden und hatte das Seil in der Hand. Ein paar ältere Kollegen hatten die Route bereits probiert und ihr Material in der Wand gelassen. Als mich niemand wegschickte, dachte ich mir: »Jetzt probier ich sie auch.« Und so bin ich halt rauf. Schon als Achtjähriger reizten mich solche Herausforderungen, und irgendwie ist das so geblieben: Sobald ich ein Motiv hatte, mich irgendwo besonders reinzuhängen, hängte ich mich rein, und wenn ich mich reinhängte, schaffte ich es meistens auch.
Das Motiv war natürlich, die anderen zu beeindrucken, und vor allem den Reini – der Reini war der große Hero dieser Jahre. Weder er noch die anderen hatten damit gerechnet, dass ich die 8– hinkriegen würde, das war mein Motor. Die erstaunten Blicke, als ich ganz oben angekommen war. Ein großartiger Lohn für die Anstrengung.
Jeden Tag fiel uns etwas ein. Zum Beispiel Pendeln. Da gab es eine Wand, ungefähr hundert Meter breit. Du kletterst in der Mitte der Wand bis ganz nach oben, wirst von deinem Partner heruntergelassen und gehst über ein schmales Bankerl bis zu einem Felssporn, der rechts in etwa 45 Meter Höhe aus der Wand ragt. Dein Partner zieht so lange das Seil ein, bis es gespannt ist. Dann zieht es dich eh schon fast vom Felssporn und du musst nur noch loslassen. Du fetzt durch die Luft, dass es eine Freude ist. Wie auf einer Schaukel am Kinderspielplatz, nur zehnmal so hoch.
Das war Arco. Arco war genial.
Wir kletterten sechs Tage die Woche, ein Tag war Ruhetag. Das war der einzige Tag, den ich hasste. In Wahrheit war der Ruhetag dafür da, dass Reini mit Rupi, unserem zweiten Trainer, in Ruhe klettern gehen konnte, also ohne das ganze Rudel im Gepäck. Rupi war zu uns gestoßen, als immer mehr Kinder klettern wollten und die Gruppe für Reini allein zu groß geworden war. Äußerlich war er das genaue Gegenteil von Reini. Im Gegensatz zu dessen Locken hatte Rupi den Schädel kahl geschoren. Er ist ein verständnisvoller, engagierter Typ, und man kann gut mit ihm diskutieren. Auch das im Gegensatz zum Reini. Reini kann man vor allem gut zuhören.
Die anderen sind am
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