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High - Genial unterwegs an Berg und Fels

High - Genial unterwegs an Berg und Fels

Titel: High - Genial unterwegs an Berg und Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lama
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Ruhetag gern mit den Eltern zum Baden oder Radfahren. Ich wollte freilich weder noch. Ich wollte klettern, und weil ich sonst in Hungerstreik gegangen wäre, nahm mich Reini am Ende doch mit. Wir machten Sturztraining. Stürzen macht Spaß. Wir ließen auf unseren Touren immer wieder absichtlich Haken aus, um weiter zu fallen, wenn es uns haute. Wir bewegten uns auf dem Fels schon wie die Eidechsen, von denen es in Arco jede Menge gibt. Sehr sicher, sehr vertraut. Stürzen war wie eine Fahrt auf der Achterbahn, nur billiger.
    Wenn du beim Sportklettern fliegst und dein Partner gut sichern kann, merkst du von der Wucht des Sturzes fast nichts. Dein Partner bremst dich nicht abrupt ab. Er bremst dich langsam bis auf null herunter, indem er das Seil immer langsamer durch das Sicherungsgerät am Gurt rutschen lässt.
    Reini bohrte ein wie verrückt. Eines seiner wertvollsten Geschenke war, wenn er uns eine seiner Routen erstbegehen ließ, denn die Erstbegeher dürfen der Route einen Namen geben. Aus dieser Zeit stammt die Kathamartina, ein Projekt von Katharina Saurwein und Martina Salchner, oder die Ursu von der Ursula Stöhr, der Schwester der jetzigen Weltcupkletterin Anna Stöhr.
    In Arco leckte ich Blut. Das Klettern in der Halle machte mir zwar Spaß wie sonst kaum etwas, aber dieses Etwas war das Klettern am Fels. Ins Felsklettern verliebte ich mich, und meine Eltern hatten das Gespür, das sofort zu begreifen. Es traf sich gut, dass sie auch so gern am Berg waren. Wir gingen also gemeinsam klettern, das machte allen Spaß. Es war etwas, was wir gemeinsam tun konnten. Unsere Ausflüge waren so, wie ich mir Familie vorstelle. Etwas tun, was man liebt, nur dass man es gemeinsam tut, und gemeinsam ist es noch schöner.
    Meine Eltern hatten nie Angst, wenn ich kletterte. Sie sind in den Bergen groß geworden, so wie ich damit groß geworden bin. Sie kannten sich gut aus, und sie hatten volles Vertrauen zum Reini, der uns von Anfang an beibrachte, trotz aller Leidenschaft verantwortungsvoll zu klettern. Er machte uns gleich einmal klar, dass das, was wir tun, nicht ohne ist und man nie leichtsinnig werden darf, weil schnell etwas passiert.
    In unserer Gruppe passierte eigentlich nie etwas. Nur Daniel hat sich einmal verletzt. Er war auf einem Felsblock unter der Wand ausgerutscht, auf den man im Prinzip rauf- und runtergehen konnte, ohne die Hände zu gebrauchen. Er fiel blöd hin und tat sich am Ellenbogen weh, ein Stück Knochen oder Knorpel splitterte ab. Er musste operiert werden, und als er nach der Operation wieder zurückkam, konnte er den Ellenbogen nicht mehr richtig ausstrecken und hatte den Anschluss verloren. Außerdem waren wir inzwischen im Gymnasium, in der Schule war mächtig viel zu tun, und Daniel beendete das Wettkampfklettern, bevor es für ihn richtig begonnen hatte. Dafür kletterte er umso mehr am Fels.

Sechs
    Meine Eltern schafften sich einen Opel Zafira an. Immer wenn Zeit war, fuhren wir irgendwohin, wo man gut klettern konnte. Wir fuhren die Tiroler Täler ab, wir fuhren über den Brenner nach Italien, über den San Bernadino in die Schweiz und weiter nach Frankreich. Oft war Daniel mit von der Partie, dann saßen wir zwei auf der Fahrt hinten im Auto, spielten Gameboy und schauten aus dem Fenster, um Wände auszuchecken. Meine Mutter sagt über diese Zeit immer, dass wir herumgegondelt sind wie die Zigeuner. Wir nützten jeden Feiertag, jedes Wochenende, um klettern zu gehen, und ich durfte sagen, wohin wir fahren sollten.
    Meine Eltern erzogen mich sehr großzügig. Rinzi ist Buddhist, und meine Mutter ist über die Jahre auch immer mehr zur Buddhistin geworden. Bei einer feierlichen Zeremonie, einer sogenannten »Zufluchtnahme«, in Feldkirch gelobten sie rituell, dass auch ich nach der buddhistischen Lehre erzogen werden solle, aber sie waren auch was das Religiöse betrifft, sehr großzügig. Wir feierten Weihnachten mit Tannenbaum, der Osterhase kam bei uns vorbei, und nur die Gebetsfähnchen in den Farben der fünf Elemente – Wasser, Licht, Luft, Feuer und Erde – waren immer irgendwo aufgehängt. Rinzi erklärte mir, dass allein der Wind, der die Fähnchen bewegt, die Gebetssprüche, die auf den Stoff gedruckt sind, zur Wirkung bringt.
    Es waren eher praktische Dinge, an denen sich die religiösen Grundsätze meiner Eltern offenbarten. Sie achteten zum Beispiel sehr darauf, dass ich keine Tiere tötete, nicht einmal unabsichtlich. Als ich als kleines Kind Ameisen zertreten wollte,

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