High - Genial unterwegs an Berg und Fels
Stil.
Es war Zeit, über den Cerro Torre zu reden. Über mein Projekt, die Kompressorroute im Freikletterstil zu machen.
»Niemand ist die Kompressorroute je frei geklettert«, sagte Reinhold. »Keiner weiß mit Sicherheit, ob das überhaupt geht.«
Ich wusste es natürlich auch nicht. Aber ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie wenig ich wusste. Reinhold hingegen hatte so viele Expeditionen hinter sich, er war auch bereits in Patagonien gewesen, hatte den Cerro Torre zwar nicht bestiegen, aber doch einige Zeit im Cerro-Torre-Gebiet verbracht, um für sein Buch zu re cherchieren.
Er beschrieb das Projekt mit einem einzigen Wort: »Grenzgang.« Nach einer kurzen Pause wurde er konkreter: »Der Wind kann dich aus der Wand blasen. Ein Stein kann dir die Finger brechen und du fällst aus der Wand. Ein Schneesturm kann dich um den Verstand bringen. Den Cerro Torre frei zu klettern ist Grenzgang.«
Da hatte er irgendwie recht. Was ich vorhatte, war in gewisser Weise ein Grenzgang. Es hatte mit Sport nur mehr wenig zu tun, es war ein großes Abenteuer, vielleicht sogar, wie Reinhold meinte, ein Kunstwerk. Ja, das war es. Wenn das Projekt am Cerro Torre gelingen würde, wäre es mein kleines Kunstwerk. Meine Vision, die sich in Wirklichkeit verwandelt. Eine Idee, die durch mein Tun Gestalt annimmt.
Aber sofort holte mich Reinhold wieder zurück auf den Teppich. »Wer weiß«, fragte er, »ob du es diesmal schaffst. Vielleicht sitzt du drei Monate unten in Patagonien, und das Wetter lässt dir keine Chance. Vielleicht musst du ein zweites Mal nach Patagonien fahren, bis du deine Chance bekommst, und vielleicht ein drittes Mal.«
Da sprach sehr unromantisch die Erfahrung von zig Expeditionen. Die Routine eines Mannes, der sein Leben dem Abenteuer gewidmet hat.
Mir war zwar absolut bewusst, dass Reinhold recht hatte, aber trotzdem hoffte ich, dass ich mit dem Wetter Glück haben würde, warum auch nicht? Für einen Augenblick wurde mir klar, wie sehr ich noch am Anfang stand, trotz zwölf Jahren, in denen ich Erfahrung in den Bergen gesammelt hatte. Das Reden über die Expedition machte mich unruhig. Ich spürte die Spannung. Ich sah den Torre vor mir, als ich die Augen zumachte, und als ich sie wieder öffnete, sah ich Reinhold.
»Wann machst du deinen ersten Achttausender?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich.
Reinhold hatte schon eine Theorie: »Du bist der Sohn eines Sherpas. Du kannst dich länger in der großen Höhe aufhalten.«
Vielleicht. Aber vielleicht profitiere ich noch mehr von der Ruhe eines Sherpas.
Fünfundzwanzig
Jorg und ich flogen nach Borneo. Urlaub! Jorg hatte sich am Finger verletzt, und mir schadete ein Urlaub auch nicht. Wir machten den Tauchschein und schmissen uns für ein paar Tage an den Strand. Wir mieteten ein Auto und schauten uns den Mount Kinabalu an, den höchsten Gipfel Borneos, ein beeindruckender Berg aus Granit, der praktisch direkt aus dem Wasser auf über 4000 Meter aufsteigt.
Wer den Kinabalu besteigen will, muss einen Guide nehmen und in einer Hütte auf 3000 Meter Höhe übernachten, auch wenn der Berg noch so leicht ist. Also nahmen wir einen Guide und buchten uns in der Hütte zwei Betten. Am ersten Tag stiegen wir zur Hütte auf, von der aus man die gewaltigen Granitplatten sah, aber am zweiten Tag regnete es so stark, dass wir uns entschlossen, wieder runterzugehen. Damit der Abstieg nicht fad wird, gingen wir nicht, sondern liefen die 2000 Höhenmeter ohne Pause. Am nächsten Tag wurde die Blödheit mit einem erstklassigen Muskelkater belohnt, den wir mit erstklassigen Cocktails am Strand bekämpften.
Den höchsten Berg Borneos hatten wir also nicht geschafft. Respekt den paar hundert Leuten, die den Regen nicht gescheut hatten und zum Gipfel aufgestiegen waren. Stattdessen steuerten wir nun den zweithöchsten Berg der Insel an, den Mount Trusmadi. Der lag mitten im Dschungel und war bis auf den 50 Meter hohen Granitgipfel dicht bewachsen.
Wieder stand im Reiseführer: RECOMMENDED TO TAKE A GUIDE und DANGEROUS , aber wir dachten uns, dass wir jetzt schon einmal einen Guide angeheuert hatten, das musste reichen. Und wer bitte sollte wissen, was »gefährlich« bedeutet, wenn nicht wir?
Während der Mount Kinabalu vom Strand aus sichtbar ist, war der Mount Trusmadi einer von vielen bewaldeten Hügeln. Soll heißen: Wir fanden den zweithöchsten Berg Borneos einfach nicht. Die Karte, die wir uns aus dem Internet heruntergeladen hatten, war
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