High Heels im Hühnerstall
länger warten konnte, weil sie sonst die Nerven verlieren würde – und die Folgen unvorstellbar wären. Warum hatte Wendy versucht, sie einzuschüchtern und sie davor gewarnt, Louis die Wahrheit zu sagen? Aber sie hatte keine Alternative – sie musste es ihm sagen, egal, was dann passierte; selbst wenn es alles verändern würde.
Auf der Rückfahrt mit Carmen nach St Ives war ihr klar geworden, dass sie ihr Wissen nicht für sich behalten konnte. Egal, wie sehr sie sich das wünschen mochte.
»Wer war das denn?«, hatte Carmen sie gefragt, kaum dass sie den Parkplatz verlassen hatten. »Du hast ausgesehen, als wolltest du ihr eine Ohrfeige verpassen, und ich habe noch nie erlebt, dass du von irgendwo so schnell verschwinden wolltest, vor allem nicht, wenn es kostenlosen Kuchen und dein Traumbrautkleid gibt.«
Sophie überlegte einen Augenblick. Es wäre nicht richtig, Carmen von Seth zu erzählen, bevor sie es Louis gesagt hatte, aber sie wusste, wenn sie einen Teil der Informationen über Wendy und Seth weitergab, würde Carmens geschäftiges weibliches Gehirn innerhalb einer Nanosekunde eins und eins zusammenzählen und selbst dahinterkommen.
»Diese Frau war Louis’ Exfreundin«, erklärte Sophie. »Ich habe sie kennengelernt, als wir ihr vor ein paar Tagen über den Weg gelaufen sind. Die beiden sind einen Sommer lang miteinander gegangen, als sie noch Teenager waren. Sie war seine erste große Liebe, seine erste … überhaupt.«
»Tatsächlich? Und was hat sie zu tun mit … Oh, mein Gott, Louis ist Seths Vater, nicht wahr?«, fragte Carmen und wandte dabei für eine Sekunde den Blick von der Straße und starrte Sophie an.
»Und er weiß nichts davon«, sagte Sophie und blickte aus dem Beifahrerfenster auf die mit schwindelerregendem Tempo vorbeisausende Landschaft.
»Und jetzt musst du es ihm natürlich auf der Stelle sagen«, stellte Carmen fest.
»Ja, natürlich, oder?« Sophie sah Carmen an, deren Blick jetzt fest auf die Straße geheftet war, doch eine Falte zeichnete sich zwischen ihren Augenbrauen ab. Sophie spürte, wie ihr die Angst den Magen zusammenzog und ihre Überzeugung ins Wanken geriet. »Ich muss es ihm doch sagen.«
Eine Sekunde später steuerte Carmen das Auto an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Sie drehte sich auf ihrem Sitz, um Sophie anzusehen.
»Lass uns überlegen«, sagte Carmen und klopfte mit ihrem langen, lackierten Fingernagel auf das lederbezogene Lenkrad. »Musst du es ihm wirklich sagen? Denn wärst du Wendy nicht über den Weg gelaufen oder würde sie nicht zufällig ein Geschäft für Hochzeitslingerie führen, in dem ihr Sohn aushilft, dann hättest du nichts davon erfahren. Du wärst hingegangen und hättest dein Traumkleid bestellt, anstatt hinauszurennen – wir würden erst heute Abend nach Hause kommen und wären so klug wie zuvor.«
»Ich weiß, aber ich bin Wendy über den Weg gelaufen, und ich habe Seth gesehen und ich weiß Bescheid«, entgegnete Sophie und knetete nervös die Hände. »Ich weiß Bescheid, und wie kann ich über Louis etwas so Wichtiges wie die Existenz seines eigenen Fleisches und Blutes wissen und ihn darüber im Unklaren lassen?«
»Ich weiß nicht.« Carmen zuckte mit den Schultern. »Weiß er alles über dich? Weißt du alles über ihn? Schau, diese Wendy und ihr Sohn scheinen seit Monaten hier zu leben, nur ein paar Kilometer von Louis’ Wohnsitz entfernt, und es ist nichts passiert. Vielleicht muss auch jetzt nichts passieren. Vielleicht musst du das gar nicht tun.«
Sophie schüttelte den Kopf. »Würdest du es James sagen, wenn eine andere Frau ein Kind von ihm hätte und er nichts davon wüsste?«
Carmens Miene verdüsterte sich und sie senkte den Kopf. »Nein, das würde ich nicht«, antwortete sie. »Ich hätte zu große Angst, ihn zu verlieren.«
»Wirklich? Du glaubst wirklich, es besteht die Gefahr, dass ich Louis verliere, wenn er das mit Seth herausfindet? Aber wieso, warum?«
»Kinder verändern alles«, erklärte Carmen. »Kinder, große, kleine – sie verändern die Lage, vor allem, wenn sie einem anderen gehören. Ich meine, es ginge nicht mehr nur um dich und Louis und die Mädchen. Es ginge nicht mehr nur um euch und die Mädchen und Seth. Da wäre diese Wendy, sie wäre für den Rest deines Lebens da. Das musst du bedenken.«
»Bella und Izzy haben sich nicht zwischen uns gedrängt, wieso sollte es Seth tun?«, fragte Sophie.
»Ich weiß nicht … Ich weiß gar nichts über ihn oder seine
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