High Heels im Hühnerstall
heruntergefahren und hat mich zusammengeschlagen? Warum nicht?«, wollte Louis wissen.
»Mein Dad sagte, wozu soll ein Kind von kaum sechzehn Jahren nutze sein? Es sagte, wir würden uns selbst darum kümmern. Und was mich anbelangt, ich dachte, du hättest dich von mir abgewandt. Auch ich habe keinen Sinn darin gesehen, es dir zu sagen. Ich muss zugeben, dass ich mich, als wir vor etwa einem Jahr wieder heruntergezogen sind, gefragt habe, was passieren würde, wenn wir dir über den Weg laufen sollten. Aber das ist nie passiert.«
Wendy und Louis sahen sich über den Schreibtisch hinweg mit unglaublicher vertrauter Faszination und Verwunderung an, was Sophie mit einem sehr unangenehmen Gefühl erfüllte. Sie sahen aus, als hätten sie gerade einen lange verloren geglaubten Schatz wiederentdeckt.
»Und hat er … hat Seth nie gefragt, wer sein Vater sein könnte?«
»Wir haben bei meinen Eltern gewohnt, bis er acht war«, erzählte ihm Wendy. »Mein Dad war noch jung und fit genug, um mit ihm Fußball zu spielen und um die Wette zu rennen. Das Thema ist nie zur Sprache gekommen; ich glaube, weil er nie einen Dad hatte, hat er ihn nicht vermisst. Als ich einen Mann kennengelernt und geheiratet habe, wollte er wissen, ob Ted sein Dad sei.«
»Warte mal, du bist verheiratet?«, fragte Louis.
»Nicht mehr.« Wendy zuckte mit den Schultern. »Es hat nicht funktioniert. Ich habe versucht, ihn zu lieben, aber am Ende hat mich immer etwas zurückgehalten …« Sie blickte durch ihre Wimpern zu Louis auf. »Oder vielleicht jemand.«
Es war Louis zugutezuhalten, dass er Wendys Blick als Erster auswich und sich angesichts der Andeutung ein wenig unbehaglich fühlte.
»Und, was hast du ihm gesagt?«, fragte er.
»Ich habe ihm gesagt, dass Ted nicht sein Dad ist, aber dass sein Dad ein Mann ist, den ich einst sehr geliebt habe.«
»Und er hat jetzt keine Ahnung von mir?«
»Nein.«
»Und wirst du es ihm sagen?«
Wendy zögerte, und Sophie wartete auf die gleiche wütende Ablehnung, die sie erfahren hatte.
»Nein«, antwortete Wendy und griff über den Tisch nach Louis’ Hand. »Wir beide sollten es ihm gemeinsam sagen.«
9
Während Sophie auf dem einzigen und weitgehend menschenleeren Bahnsteig des Bahnhofs von St Ives auf und ab lief und auf die Ankunft ihres Gastes um 16 Uhr 46 wartete, gingen ihr zwei Fragen durch den Kopf: Erstens, warum Cal eigentlich nie den Führerschein gemacht hatte und sie damit zwang, ihn an diesem kalten und düsteren Nachmittag vom Bahnhof abzuholen, und zweitens, warum Louis eines der wichtigsten und folgenschwersten Treffen seines Lebens ohne sie arrangiert hatte.
Nachdem Wendy den Vorschlag unterbreitet hatte, hatte Louis für einen Augenblick einfach nur dagesessen. Sophie war sich nicht sicher gewesen, wie er wohl reagieren würde; sie hatte jedoch mit etwas Radikalem gerechnet – einer Art von Drama, das dem Anlass zu entsprechen schien. Doch stattdessen hatte Louis sich auf dem Stuhl nur zurückgelehnt, und sein ganzer Körper hatte sich entspannt, als er sich mit den Fingern durch die Haare fuhr, dann hatte er mit den Schultern gezuckt und gesagt: »Also gut, wann?«
Er hatte erleichtert gewirkt, dachte Sophie, froh, dass ein anderer die Situation in die Hand nahm und ihm sagte, was er tun sollte. Sie konnte ihm in diesem Punkt keinen Vorwurf machen, aber sie konnte das unbehagliche Gefühl nicht ignorieren, das sich in ihrer Magengrube ausbreitete. Egal, wie rational und vernünftig Wendy jetzt wirkte, Sophie traute ihr nicht, und sie war sich sicher, dass mehr dahintersteckte als nur leichte Eifersucht auf Louis’ verflossene Liebe. Doch ob Sophie Wendy leiden konnte oder nicht, sie war die Mutter von Louis’ Sohn, und noch während sie in Wendys winzigem, beengtem Büro stand, dämmerte ihr die Erkenntnis, dass Carmen recht hatte: Sobald sie mit Louis verheiratet war, würde diese Frau für immer zu ihrem Leben gehören.
Wendy hatte gelächelt und Louis’ Gesicht eingehend gemustert. »Ihr beide seid euch so ähnlich, weißt du. Ich kenne Seth natürlich seit zwanzig Jahren, schließlich ist er mein Sohn. Ich habe mein Bestes getan, die Erinnerung an dich zu verdrängen, und ich meine nicht nur, wie du aussiehst, sondern auch deine Eigenheiten … dein Lächeln.« Sophie hatte zugesehen, wie Louis und Wendy sich in die Augen blickten. »Jetzt sehe ich dich da auf dem Stuhl sitzen, und es ist einfach verblüffend. Er ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten.«
»Das
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