High Heels im Hühnerstall
Leben hinter mindestens zwei von drei Punkten ein Kreuzchen machen konnte. Aber sie wusste, dass er, auch wenn er so tat, als würde er Carmens Tarte nur aus Höflichkeit verspeisen, diese genauso köstlich fand wie Sophie, und sie fragte sich, ob er hier an der Küste, mit der Seeluft in den Lungen vielleicht aufhören könnte, das Essen mit Unglücklichsein gleichzusetzen, und sich einfach mit einer Tarte ein bisschen Glück gönnen würde. »Und, wohin gehen wir?«, fragte Cal Sophie und schlürfte den doppelten Espresso, den Carmen ihm mit der für sie typischen Souveränität zubereitet hatte, nachdem er die sündhaft teure und recht schöne italienische Kaffeemaschine beäugt hatte, in die Carmen für ihr Café investiert hatte, das weder Olde war noch irgendetwas mit Tea zu tun hatte. »Wo ist der angesagteste Treffpunkt in dieser Stadt? Und was noch viel wichtiger ist, wo sind die Junggesellinnen?«
»Hm.« Sophie blickte zu Carmen hinüber. »Tja, um ehrlich zu sein, da ich hier noch nicht sonderlich lange wohne und die meiste Zeit mit Louis und den Kindern verbringe, kenne ich mich mit Treffpunkten und Junggesellinnen nicht aus, nicht wahr, Carmen? Es sei denn, man zählt Mrs Alexander dazu, aber die macht den Babysitter, und ich hätte Grace gefragt, wenn sie nicht neunundachtzig wäre und mit großer Wahrscheinlichkeit tot umfallen würde, wenn es zu aufregend wird …«
Cal sah Sophie an und blinzelte. »Soso. Ich habe mehr als tausend Kilometer in einem Zug ohne Speisewagen mit einer Horde von … von Leuten vom Lande zurückgelegt, und das dafür, dafür? Na ja, vermutlich hätte ich nichts anderes erwarten dürfen; du warst nie sonderlich beliebt. Solange der Gin in Strömen fließt, die Musik wummert und die Männer unkompliziert und vorzugsweise verwirrt sind, bin ich glücklich. Und, wohin gehen wir?«
»Tja«, Sophie bemühte sich, ein bisschen Begeisterung für das Ausgehen an diesem Abend aufzubringen, obwohl sie dazu eigentlich gar keine Lust hatte. »Am Hafen gibt es eine schöne Kunstgalerie mit einer Bar, die manchmal spätabends geöffnet ist …«
»Oder ein sehr, sehr hübsches Fischrestaurant«, sagte Carmen. »Sehr schick, und der Chefkoch hat früher im Dorchester gearbeitet.«
»Schick?« Cal verdrehte die Augen. »Ich bin nicht für Schick hierher gekommen, sondern zum Tanzen, Trinken und für wilden, ausschweifenden Sex in der Brandung.«
»Dafür bist du hierher gefahren?«, fragte Carmen. »Im Oktober? Du wirst dir einiges abfrieren.«
»Und vergiss nicht, du bist hierher gekommen, um mich bei Louis’ Debakel mit dem unehelichen Nachwuchs zu unterstützen«, erklärte ihm Sophie und warf wieder einen Blick auf ihre Uhr. Es war kurz nach sechs. Wenn Seth seinem Vater auch nur ein wenig ähnlich war, was ja alle behaupteten, dann würde er mindestens zwanzig Minuten zu spät kommen. Wendy und Louis saßen in diesem Augenblick gewiss in ihrem Wohnzimmer. (Das Sophie sich aus irgendeinem Grund als grellbunt dekoriert ausmalte, ähnlich wie das Zimmer einer billigen Nutte, obwohl sie zugab, dass diese Vorstellung viel mehr mit ihren persönlichen Gefühlen Wendy gegenüber zu tun haben könnte als mit Wendys Einrichtungsgeschmack; doch wenn sie ihre Theorie untermauern sollte, dass Wendys Haus geschmacklos eingerichtet sein müsste, dann würde sie auf die Tatsache hinweisen, dass Wendy ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf billiger und hässlicher Unterwäsche aus Nylongemisch verdiente, in der sich auch eine Prostituierte sehen lassen könnte, wäre nicht auf den meisten Teilen aus Strasssteinchen »Just Married« aufgeklebt, was für eine Bordsteinschwalbe wahrscheinlich nicht gerade die allerbeste Werbung darstellte.)
Wendy und Louis warteten gewiss auf das Geräusch des Schlüssels im Schloss, auf den Augenblick, in dem Seth durch die Wohnzimmertür hereinkam und dort auf seinen Vater traf. Sophie spürte, wie sich ihr das Herz nicht nur Louis’ wegen, sondern auch wegen seines Sohnes vor Panik zusammenschnürte. Sie wusste, wie es war, ohne Vater zu leben, und sie wusste auch, wie schockierend es war, wenn das ganze Leben innerhalb einer Sekunde auf den Kopf gestellt wurde. Wendy hatte zwanzig Jahre Zeit gehabt, mit ihrem Wissen umzugehen, Louis nur ein paar Tage, aber Seth hatte überhaupt keine Zeit, und sie machte sich Sorgen um ihn, denn so selbstsicher er auch erscheinen mochte, er war trotz allem noch sehr jung.
»Es wird jetzt jede Minute so weit sein«, sagte
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