High Heels im Hühnerstall
der Wesenszug von Cal, den Sophie schon immer am meisten bewundert hatte.
Dieser Teil von ihr, der Kleider und hohe Absätze liebte, war verschwunden, seit sie nach St Ives gekommen war. Im Kleiderschrank in ihrer Pension, ihrer persönlichen Schatztruhe, bewahrte sie immer noch all ihre glamourösen Kleider auf (mit Ausnahme der roten Lackschuhe von Jimmy Choo, die sie mit untypischer Großzügigkeit Bella ausgeliehen hatte, als sie Der Zauberer von Oz aufführen wollte, und die sie seitdem nie wieder zu Gesicht bekommen hatte, außer bei allem Anschein nach ähnlich endlosen Aufführungen von »Somewhere Over the Rainbow«), doch sie hätte ohnehin nur ein einziges Mal die Gelegenheit gehabt, sie zu tragen, und das war an dem Abend von Louis’ Heiratsantrag gewesen.
Sie hätte ihren neuerdings praktischen Look gern dem Umstand zugeschrieben, dass sie jetzt buchstäblich am äußersten Rand des Landes wohnte, wo Mode absolut keine Rolle spielte, obwohl St Ives mit seiner Geschichte des Fischfangs, der Künstlerkolonie und winzigen Arbeitercottages ein wirklich schicker Ort war, zum Bersten voll mit Designerläden und so vielen elegant gekleideten und gut beschuhten Menschen, wie man sie in London sah. Sophie hätte beim Bringen und Abholen der Kinder von der Schule problemlos Stiefel mit Absatz und einen Bleistiftrock tragen können und damit keineswegs overdressed gewirkt, aber sie verzichtete darauf. Sie hatte Cal mehrfach erzählt, dass es keinen Sinn hätte, etwas Schickes anzuziehen, wenn man zwei Mädchen betreute, die wild entschlossen waren, ordentlich auf den Putz zu hauen. Als Beweis hätte sie viele ruinierte Möbelstücke und Kleider aus der Zeit, als die beiden in Sophies Einzimmerwohnung lebten, vorweisen können, doch auch daran lag es nicht.
Obwohl Sophie es Cal nie gebeichtet hatte, weil er sie ausgelacht hätte, hatte sie immer geglaubt, dass sie mit ihrem Umzug nach Cornwall alles Belanglose und Unwichtige aus ihrem früheren Leben abgelegt hatte. Dass sie sich – wenn man die zusätzlichen Pfunde, die sie den Nachmittagstees verdankte, nicht mitrechnete – auf das Minimum beschränkt und Louis ihr wahres Ich gezeigt hatte, weil das jene Art von Mut bedeutete, die wahre Liebe nun einmal erforderte. Die Tatsache, dass er sie noch immer liebte und begehrte, obwohl sie nicht in schönen hohen Schuhen umherstolzierte oder sich in ein enges Top zwängte, bestätigte doch nur, wie richtig und befreiend ihre Entscheidung gewesen war. Aber als Cal auf dem Bahnsteig auf sie zukam, zog Sophie zum ersten Mal einen anderen Grund in Betracht, wieso sie ihre Neigung zu Glamour und Schuhen so einfach aufgegeben hatte. Hatte sie sich hier verloren? Hatte sie sich in Louis und den Mädchen verloren und zugelassen, dass sie ihre Identität aufgab und in jener der anderen aufging? Auf einmal vermisste Sophie die tägliche stundenlange Prozedur, bevor sie die Wohnung verließ, sie trauerte dem täglichen Zupfen der Augenbrauen und Rasieren der Beine nach. Sie vermisste die Tatsache, dass ihre Fingernägel früher lang waren und trotzdem niemals abbrachen und dass ihre Füße immer brannten und zu ihrer Freude schmerzten, weil das besagte: »Diese Schuhe sind einfach geil.«
Sobald Sophie Cal auf sich zuschreiten sah, fühlte sie sich besser, ein bisschen mehr wie früher. Sie hatte den Eindruck, als hätte er mehr mitgebracht als nur sich und einen kirschfarbenen Rollkoffer von Yves Saint Laurent. Er hatte auch ein wenig von ihrem alten Ich mitgebracht. Jenen kleinen Teil von ihr, der wollte, dass die Welt aufmerkte und Notiz von ihr nahm.
»Du meine Güte, wo zum Teufel bin ich hier denn gelandet und warum?«, fragte Cal, während er ihre Umarmung über sich ergehen ließ. »Ich weiß zwar, dass wir Freunde sind und so, aber so sehr kann ich dich doch gar nicht mögen.«
***
»Gucci?«, fragte Carmen mit hochgezogener Augenbraue und nickte in Richtung von Cals Schuhen.
Zuerst hatte Sophie ihn für einen Nachmittagskuchen in Ye Olde Tea Shoppe geführt, damit er ihre beste Freundin in St Ives kennenlernte und mit eigenen Augen sah, warum tief auf der Hüfte sitzende Jeans, obwohl diese für sie stilmäßig nie wirklich in Frage kamen, in Sachen Geschmack und Schicklichkeit inzwischen völlig indiskutabel waren.
Sophies Freunde mochten und verstanden sich auf Anhieb. Carmen hatte Cal eine Scheibe gebackenen Eierrahm und eine Muskattorte serviert und den Schnitt seines Anzugs bewundert, und er hatte ihr
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