High Heels mit acht, Diaet mit neun
großen Wandspiegel im Wohnzimmer übt, den sie gerade in der Tanzgruppe gelernt hat. Zunächst verschmelzen die Worte alle zu einem Mischmasch. Aber so nach und nach verstehe ich Clios halberinnerte Version des Liedes: »I’m a single ladee, I’m a single ladee ... I’ve got a man on my hips and lipstick on my lips.« Während ihr die ganze Bedeutung dieses Textes noch nicht wirklich geläufig sein dürfte, lässt Clios zaghaftes Powackeln keinen Zweifel daran, dass Beyoncéihr Vorbild ist – und dass sie denkt, sie sähe erwachsen aus. Und ihrem zufriedenen Blick in den Spiegel kann ich entnehmen, dass sie mag, was sie da sieht.
Clio tat das, was viele kleine Mädchen heute zu ihrer Entspannung tun. Werfen Sie einen Blick auf YouTube, und Sie werden Hunderte von kleinen Kindern und jungen Mädchen sehen, die ganz eindeutig Texte und sexy Tanzbewegungen von Lady Gaga, Beyoncéund BritneySpears nachahmen. Als meine ältere Tochter Lily mit acht Jahren bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung auftrat, war eines der Lieder, um die sie gebeten wurde, »Bad Romance« von Lady Gaga. Da überrascht es kaum, wenn diese Lieder auch der Soundtrackauf den Schuldiscos und bei den Geburtstagspartyssind. Trotz der Rufe nach einer 21:00-Uhr-Zeitgrenzegibt es offenbar überhaupt keine Grenzen, was Popvideos betrifft. Ganz egal, wie eindeutig die Bilder oder Botschaften auch sind – diese Videoswerden auf den Musikkanälen 24 Stunden am Tag gesendet. Weil der Beat alles übertönt, fällt Eltern zunächst oft gar nicht auf, um was es da geht – bis sie ihre Kinder eines Tages beim Heimkommen davon singen hören, wie sie einen ganz heißen Typen aus der Disco reiten.
Viele Eltern scheinen in der Tat nicht bemerkt zu haben, wie sehr sich die Musikvideosverändert haben. Als ich aufwuchs, war der Anblick der beiden Sängerinnen von Abba in ihren blauen Satin-Overalls, die Küsse durch einen Nebel aus Trockeneis bliesen, das Vulgärste, was man zu sehen bekam. In den heutigen Musikvideosist eine Frau, die mehr trägt als einen BH, einen Slip und Strapse oder hautenge Shorts, ernsthaft overdressed. Und wenn die Frauen Kleidung tragen, dann den Fetisch-Look: schwindelerregend hohe Plateau-Schuhe, Stiefel bis zum Oberschenkel und ein Korsett. Niemand veranschaulicht diese Verschiebung vom Softporno in die Musik so gut wie die »Pussycat Dolls«. Ursprünglich gegründet als Burlesque-Tanzgruppe von Stripperinnen, sicherte ihnen ihr Manager einen Plattenvertrag. Dabei halfen ihr vulgäres Auftreten und ihre sexuell provokativen Lieder wie etwa »Don’t Cha«. In diesem Lied verspotten die Mädchen einen Mann, indem sie ihn wissen lassen, er könne nur davon träumen, dass sein Mädchen ebenso »heiß« wäre, wie sie es sind. Die Philosophie dieser Gruppe kreist um den Gedanken, dass »sexy« zu sein, das Begehren der Männer zu erregen und von anderen Frauen beneidet zu werden das Wichtigste im Leben ist.
Auch in etablierten weiblichen Solokünstlern wie Kate Perry, die gegenwärtig die Charts dominiert, finden Mädchen keine positiven Vorbildermehr. Ungeachtet ihrer Talente als Songwriterin scheint Kate nicht widerstehen zu können, die Grenzen der kindlichen, unschuldigen Bilderwelt, die Puppen, Süßigkeiten und Lollis enthält, immer weiter zu verschieben, bis an das absolute Limit. Mittlerweile sind die Tanzeinlagen von Stars wie Britney Spearsund Christina Aguilera, die unsere kleinen Mädchen so eifrig kopieren, kaum mehr als notdürftig domestizierte Strip-Routinen, bei denen so viel Brüste, Po und Schritt wie nur möglich enthüllt werden. Während die Popstars der Vergangenheit ihre Beine züchtig geschlossen hielten, gehören gespreizte Schenkel, Powackeln und das Vorschieben des Beckens heute zu den gebräuchlichen Tanzbewegungen. Die aktuellen Popvideoszeigen die Popstars als Pornostars, als Frauen, die ständig zum Sex bereit sind. Und für den Fall, dass die Körpersprache noch nicht deutlich genug ist, werden in den Songtexten die Frauen als Nutten und Schlampenbezeichnet. Einige der angesagtesten Videoregisseure kommen aus der Pornobranche.
Frauen dienen vor allem als Dekoration. Der Bericht des britischen Innenministeriums über die Sexualisierung von jungen Menschen konstatiert, dass 50 Prozent der Frauen in Musikvideosweder singen noch ein Instrument spielen. Sie werden als Objekte behandelt. Die Psychologin Linda Papadopouloshat gezeigt, dass Männer als »äußerst maskulin und sexuell dominant«
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