Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
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Langsam kehrte die Abteilung ins Lager zurück. Munro sang mit seiner dröhnenden Stimme eine selbst gedichtete Ballade, und die anderen begleiteten ihn fröhlich. Leticia marschierte vor Alexander. Ihre Hüften wiegten sich im Takt ihrer Schritte, so dass die Falten ihres Kilts nur so flogen. Der junge Mann musste sich fast Gewalt antun, um den Blick abzuwenden und seine wollüstigen Gedanken zu unterdrücken. Laut erklang Munros Stimme.
»Cailin mo rùin-sa is leannan mo ghràidh … ainnir mi chridhh-sa’s i cuspair mo dhàin. Tha m’inntinn làn sòlais bhi tilleadh gun dàil, gu cailin mo rùin-sa is leannan mo ghràidh …« 38
Ach, er hätte solche Lust gehabt, ihr diese Worte zuzuflüstern … Während seine Gedanken noch zwischen Lüsternheit und schlechtem Gewissen schwankten, sah er, wie John Macleod sich aus der Kolonne löste und, eine Hand auf die Blase gepresst, zum Waldsaum rannte. Sergeant Campbell befahl ihm, sofort stehen zu bleiben, und richtete die Waffe auf ihn. Nach zwei weiteren Fällen von Desertion hatten die Offiziere die Order erhalten, ihre Männer streng im Auge zu behalten.
»Macht Euch keine Gedanken, Sergeant, ich will bloß pinkeln …«
Anzügliches Gelächter quittierte seine Antwort. Die Kolonne wurde langsamer und kam schließlich zum Stehen. Campbell sah seinen Soldaten an, der die Landschaft begoss und dazu pfiff. Doch mit einem Mal verstummte der Soldat.
»Sergeant … da ist… etwas!«
Alexander ergriff sein Gewehr und entsicherte es. Auf Campbells Befehl rückten die Männer zusammen. Alle hielten ihre Waffen schussbereit und warteten darauf, eine Horde Wilder aus dem Wald auftauchen zu sehen. Macleod tat einige Schritte nach rechts und blieb erneut stehen. Die Hühner gackerten; eine Kuh brüllte.
»Was ist, Macleod?«, brüllte der Sergeant.
Alle hatten die Luft angehalten; die Angst saß ihnen in den Eingeweiden. Macleod bückte sich.
»Macleod! Was habt Ihr da?«
»Oh mein Gott! Sergeant! Sergeant! Es ist einer von unseren Leuten! Einer der Unsrigen!«
Der Soldat kam aus dem Unterholz gerannt und lief entsetzt auf die Gruppe zu. Leticia warf Alexander einen besorgten Blick zu. Campbell befahl zwei weitere Männer zu sich, und sie begaben sich mit angelegtem Gewehr dorthin, wo Macleod eben noch gestanden hatte. Bei ihren entsetzten Ausrufen und Flüchen zog sich Alexander vor Angst der Magen zusammen: John?
»Nein, geh nicht hin, Alex!«
Leticia hielt ihn fest, doch er riss sich schroff von ihr los.
»Ich muss wissen, was meinem Bruder zugestoßen ist.«
Die Leiche lag auf dem Rücken und wandte ihm das Gesicht zu – beziehungsweise das, was davon übrig war. Ein Teil des Haars war verschwunden, und auf dem nackten Schädel wimmelten Insekten. Die Raben hatten dem Toten bereits Augen und Nase ausgehackt. In dem Mund, der zu einem letzten Schrei aufgerissen war, kam und ging eine ganze Armee von Fliegen und Ameisen. Der unerträgliche Gestank ließ Alexander zurückweichen. Trotz des entsetzlichen Anblicks war der junge Mann erleichtert. Der Tote war nicht mehr zu erkennen, doch aus seiner roten Uniform, die ihn als Mitglied des Regiments von Amherst auswies, konnte man schließen, dass es sich nicht um John handelte. Alexander begann zu wünschen, sein Zwillingsbruder möge tatsächlich desertiert sein.
In den Büschen bewegte sich etwas und zog seine Aufmerksamkeit an. Er hielt den Atem an und neigte leicht den Kopf. Die Zweige der Hornsträucher bebten kaum wahrnehmbar. Die Hände um sein Gewehr gekrampft, schlich er sich an die Stelle heran. Kein Zweifel: Dort versteckte sich jemand. Die Büsche bewegten sich, und eine Gestalt stürzte heraus. Er zog den Dolch und nahm die Verfolgung auf.
Innerhalb von Sekunden hatte er den Flüchtenden eingeholt. Als er den Gegner erreichte, packte er seinen Schopf und riss ihm brutal den Kopf nach hinten. Ein Schrei stieg aus der Kehle seines Gefangenen auf und endete in einem entsetzlichen Gurgeln. Keuchend und noch unter dem Eindruck seiner Furcht ließ Alexander den reglosen Körper zu seinen Füßen fallen. Als er langsam wieder zu sich kam, registrierte sein Verstand, was er sah, und er stöhnte auf.
»Oh, nein!«
Die Haut des Toten war glatt und blass. Braune, von langen, schwarzen Wimpern gesäumte Augen starrten ihn blicklos an. Alexander erschauerte, und ein Gefühl tiefsten Abscheus überkam ihn: Er hatte einen Knaben von kaum zwölf oder dreizehn Jahren getötet…
»Dahinten ist
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