Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
den Kopf zu Archie umwandte, stellte er fest, dass dieser inzwischen allein war und ihn forschend ansah.
»Wie ich höre, habt ihr die Leiche von Jonathan Hennery gefunden …«
»Ja, Sir.«
»Der Unselige war desertiert. Irgendeine Spur von deinem Bruder?«
»Nein, Sir.«
Archibald holte tief Luft, verzog das Gesicht und wandte ihm den Rücken zu. Er hatte die Perücke abgenommen und in seine Tasche gesteckt, doch der Pferdeschwanz hing heraus und baumelte bei seinen Schritten wie ein Marderschweif. Archie trug das leuchtend rote Haar ziemlich kurz geschnitten. Die Haut an seinem nackten Hals trug noch die Spuren des Lederkragens, den er ebenfalls abgenommen hatte. Mit dem Rücken zu ihm musterte Archie die Zeltreihen, zwischen denen Rauchsäulen aufstiegen. In den Töpfen kochte die Abendmahlzeit.
»Gut, aber ich habe dich nicht hergebeten, um darüber zu sprechen.«
Mit undeutbarer Miene drehte er sich um. Langsam nahm er das Medaillon auf, drehte es zwischen den Fingern und sah es an.
»Weißt du, ob Cameron noch Familie in Schottland hatte? Ansonsten bin ich verpflichtet, seine Besitztümer unter den Männern aufzuteilen.«
»Familie… ? Nicht dass ich wüsste.«
»Und diese gemeinsame Freundin?«, fuhr der Leutnant leise fort und wies auf das Porträt in dem Medaillon. »Ihr Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor. Aus welchem Teil der Highlands stammt sie?«
Der junge Mann gab keine Antwort und schaute auf das Medaillon, um dem forschenden Blick seines Onkels nicht zu begegnen.
»Hmmm … nun gut. Du hast angedeutet, sie sei dir sehr teuer …«
»Ähem … ja.«
»Wäre es möglich, dass es sich bei der Dame um Camerons Frau handelt?«
»Seine… Frau?«
»Wir haben einen Brief bei Cameron gefunden, eine Art Testament, denn darin legt Evan seinen letzten Willen dar. Es geht auch dich an …«
Verblüfft sah Alexander zu ihm auf. Sein Freund hatte ihm gegenüber nie ein Testament erwähnt.
»Das Dokument ist auf den 23. Juli 1758 datiert. Wenn ich mich recht erinnere, lagen wir zu diesem Zeitpunkt vor Louisbourg. Ob du verliebt in Evans Frau bist, interessiert mich wenig, Alex. Außerdem hatte Evan offensichtlich nichts gegen deine Zuneigung zu seiner Frau einzuwenden, denn in dem Brief bittet er dich, sie zu heiraten, falls ihm etwas … zustoßen sollte. Das Testament ist juristisch einwandfrei, da es von zwei Zeugen unterzeichnet ist, die seine Echtheit bekunden können. Sehr eigenartig ist allerdings, dass Cameron den Namen seiner Gattin nicht nennt. Aber ich vermute, du kennst sie …«
Während Archie ihm den Inhalt des Briefs enthüllte, waren Alexander die Knie weich geworden. Leticia heiraten? Evan vererbte ihm gleichsam seine Frau? Das war ja lächerlich! Warum hatte sein Freund nie mit ihm darüber gesprochen? Und dann fiel ihm der Abend ein, an dem Evan ihn gefragt hatte, ob er Leticia liebe. Damals hatte er die Frage merkwürdig gefunden. Erst jetzt begriff er, worauf Evan hinausgewollt hatte. Aber…
»Ich … ich kann nicht tun, was er da von mir verlangt, Archie.«
»Offensichtlich nicht, Alex.«
Er hielt ihm das Medaillon hin.
»Behalte es. Du kannst es seiner Witwe bringen, wenn du zurück in Schottland bist.«
»Danke, Sir.«
»Was den Rest angeht… da wir nicht die geringste Ahnung haben, wohin wir seine persönliche Habe schicken sollen… und da ich weiß, dass Soldat MacCallum sehr an ihm gehangen hat … wie wäre es, wenn ihr beide die Sachen unter euch aufteilt?«
Alexander schluckte. Archie rieb sich das Kinn, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Er musste bemerkt haben, dass er sich zunehmend unwohl fühlte. Ein wissendes Lächeln umspielte seinen Mund.
»Übrigens, wie geht es ihm?«
Archie unterstrich seine Frage mit einem Räuspern und sah ihn aus seinen hellen Augen an. Er wusste Bescheid …
»Er wird es überstehen …«
Der Offizier nahm die Schatulle und inspizierte kurz den Inhalt: ein Taschenmesser, ein paar Geldstücke, ein silberner Reif, der zweifellos einen Ehering darstellte. Diese wenigen unbedeutenden Gegenstände waren die ganze schmale Hinterlassenschaft des Verstorbenen. Er überreichte sie Alexander, der nicht wagte, ihm ins Gesicht zu sehen.
»Übermittle ihm mein Beileid …«
»Ja, Sir.«
Nachdem Alexander sich vergewissert hatte, dass niemand kam, ließ er die Zeltklappe wieder fallen und wandte sich zu Leticia um, die mit dem Zeigefinger über das Medaillon strich. Tränen liefen über die Wangen der jungen
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