Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
indem ich über Dinge rede, die mich nichts angehen.«
»Ich glaube dir. Also, wenn ich dich darum bitte, wirst du mir ohne Widerrede den Schlüssel geben. Ich kenne da einige arme Leute, die sich freuen würden, ab und zu etwas Gutes zu essen zu bekommen, um ihr Unglück zu vergessen. Verstehst du?«
Perrine nickte so heftig, dass ihre Haube herunterzurutschen drohte.
»Ich verstehe. Ihr wollt den Armen helfen. Aber Ihr dürft die Vorratskammer nicht leeren. Das würde Eure Mutter merken.«
»Mach dir darüber keine Gedanken. Ich kümmere mich schon um meine Mutter.«
Isabelle trat zur Seite und ließ Perrine hinaus. Als sie allein war, schüttelte sie, immer noch ganz erschüttert, den Kopf.
»So etwas von scheinheilig!«, stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Dass ihre Mutter sich so egoistisch verhalten konnte, erstaunte sie nicht wirklich. Enttäuscht war sie vor allem, weil ihr Vater dabei mitspielte.
Der Morgen zog kühl und frisch herauf. Isabelle warf ein schon etwas abgetragenes braunes Wollcape über und zog ihre Schuhe aus grobem Rindsleder an. Mit den Holzpantinen konnte sie nicht so rasch gehen, wie sie gern wollte. Außerdem hatte am Vortag die Sonne die Bodenrinnen und den Schlamm ausgetrocknet. Die Straßen waren relativ sauber, abgesehen von den Abfallhaufen vor den Häusern, die stanken, dass sich einem der Magen umdrehte.
Auf dem Weg zur Côte de la Canoterie ging die junge Frau mit eiligen Schritten die Rue Saint-Joachim entlang. Unterwegs begegnete sie nur wenigen Menschen. So früh war es gar nicht mehr, aber der Großteil der Bevölkerung hatte sich versammelt, um einer öffentlichen Hinrichtung beizuwohnen. Heute wurde zum ersten Mal ein Engländer gehängt. Der Soldat hatte einen Diebstahl begangen und sein Opfer, einen kanadischen Händler, mit gezogener Waffe bedroht. Die Bewohner von Québec würden sich gewiss an dieser exemplarischen Hinrichtung ergötzen, und Gouverneur Murray würde Unterstützer gewinnen.
In der Unterstadt angekommen, schlug Isabelle die Rue Sousle-Cap ein und klopfte an der dritten Tür; wobei Tür beinahe zu viel gesagt war, denn nur ein paar schiefe Bretter verwehrten den Zutritt zu der elenden Behausung. Ein abgezehrtes Gesicht ließ sich blicken. Lächelnd hielt Isabelle der Frau einen Korb entgegen.
»Das ist für Euch und Eure Kinder, Madame Bouthillier.«
Die Angesprochene nahm den Inhalt des Korbes in Augenschein: eine schöne Wurst, ein Topf Marmelade, Käse. Sie seufzte angesichts dieser Köstlichkeiten und riss die Tür, die dabei entsetzlich knirschte, weit auf.
»Oh! Vielen Dank, Madame Lacroix! Das ist zu großzügig von Euch!«
Drei kleine, in Lumpen gekleidete und barfüßige Kinder kamen angelaufen und sprangen schreiend um die junge Frau herum.
»Was sind denn das für Manieren? Ihr sollt Euch bei Madame Lacroix benehmen, ihr kleinen Strolche! Nun nehmt euch schon davon, wenn ihr wollt.«
Das ließen sie sich nicht zweimal sagen.
»Wollt Ihr nicht hereinkommen und einen Schluck Wasser trinken, Madame Lacroix?«
Der armen Frau standen vor Rührung die Tränen in den Augen. Isabelle kannte ihre Geschichte. Ihr Mann war Kalfaterer auf Levitres Schiffswerft gewesen. Er war in die Miliz eingetreten und Anfang August bei einem Scharmützel in Château-Richer umgekommen. Die Witwe war mit ihren vier Kindern, deren jüngstes noch ein Säugling war, allein zurückgeblieben und hatte ihre mageren Ersparnisse rasch aufgebraucht. Sie besaß nichts außer ihren vier Wänden, die durch den Beschuss beschädigt worden waren, und sie konnte sie weder selbst instand setzen noch jemanden dafür bezahlen.
Isabelle hatte die Frau und ihre Kinder oft vor der Kathedrale gesehen, wenn dort Lebensmittel verteilt wurden. Die Witwe schluckte ihren Stolz herunter und fand sich regelmäßig dort ein, um das Wenige in Empfang zu nehmen, das man ihr geben konnte. Der Winter würde hart für sie werden. Einer solchen Familie einmal etwas Besonderes zukommen zu lassen war das Wenigste, was Isabelle tun konnte. Die Frau wartete darauf, dass sie auf ihre Einladung reagierte.
»Nein, danke. Ich muss wieder nach Hause.«
Die Frau nickte, nahm Isabelles Hand in ihre knochigen Finger und drückte sie fest.
»Danke.«
»Lasst es Euch schmecken.«
Den Tränen nahe nahm Isabelle ihren leeren Korb und ging die paar Stufen hinunter, die zur Straße führten. Sie hörte, wie sich hinter ihr die Tür schloss und die Kinder lautstark ihren Anteil
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