Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
gesäubert werden, vom Keller bis zum Dachboden. Der große Hausputz stand an! Perrine und Sidonie schafften das nicht allein, daher half sie ihnen gern und räumte ihr Zimmer auf. Sie nahm den Stapel abgelegter Unterröcke, legte sie in die Truhe und wollte den Deckel zuklappen, als sie mit dem Finger in einem verschlissenen Band hängen blieb, dass aus dem Futter hing. Neugierig zog sie daran. Die Verkleidung öffnete sich, und eine Vielzahl kleiner Blätter fiel heraus und verteilte sich in der Truhe. Ein geheimes Versteck?
Ganz aufgeregt ob ihrer Entdeckung sammelte Isabelle die Blätter ein und entdeckte, dass es sich um Briefe handelte, die an ihre Mutter gerichtet waren. Liebesbriefe? Sie konnte sich kaum vorstellen, dass ihr Vater und ihre Mutter einander jemals zärtliche Briefe geschrieben hatten… Da sie verheiratet waren, mussten sie doch irgendwann einmal etwas anderes als Respekt füreinander empfunden haben. Sie faltete eines der Papiere auseinander und überflog den Inhalt. Meine süße Justine … meine ewige Liebe… mein Herz… Die Worte drückten so starke Empfindungen aus, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Ihr Vater konnte so wunderbar schreiben… Schade, dass ihre Mutter sich schon seit langer Zeit nicht mehr davon anrühren ließ.
Isabelle erlebte nur höchst selten, dass ihre Eltern sich in ihrer Gegenwart berührten. Ihre Mutter ließ sich nicht küssen, nicht einmal auf die Hand. Diese Frau war kälter als ein Klumpen Eis. Wie hatte sich ihr Vater nur in sie verlieben können? Andererseits, vielleicht war das nicht immer so gewesen. Justine Lahaye war wirklich eine sehr schöne Frau. Selbst heute war sie noch begehrenswert, nach drei Schwangerschaften und nachdem viele Jahre vergangen waren. Nun ja …
Isabelle las einige der Briefe. Ihr Vater hatte sie nicht mit seinem Namen unterzeichnet. Der Euch zutiefst ergebene Kapitän Eures Herzens, stand da. Kapitän Eures Herzens? Kichernd faltete sie ein letztes Blatt auseinander. Dieser Brief war auf Englisch verfasst. Ihr Vater sprach Englisch? Die Schrift war jedenfalls die gleiche wie in den anderen Briefen …
Die junge Frau hörte, wie jemand die Leiter heraufkam, und stopfte die Briefe eilig in den Deckel, den sie dann wieder schloss. Im selben Moment tauchte Madeleines rußverschmiertes Gesicht auf.
»Was machst du bloß? Ich warte schon lange auf dich. Wir brauchen Pottasche für die Wäsche. Perrine ist nicht zu finden, und Sidonie hat keine Zeit, mir welche zu holen.«
»Ich komme sofort, Mado.«
Isabelle schüttelte ihre Röcke aus, stand auf und steckte verstohlen die Hand in die Tasche. Das Papier knisterte unter ihren Fingern. Sie hatte den letzten Brief behalten.
Isabelle durchsuchte den Vorrat an Seife, der gut geschützt vor Nagern in einem Blechkasten aufbewahrt wurde, als sie hörte, wie jemand in den Keller herunterstieg. Sie wandte den Kopf und erkannte den Saum von Perrines gelbem Rock, und sie bekam plötzlich unbändige Lust, das Hausmädchen zu überraschen und sie vor Schreck aufschreien zu lassen. So versteckte sie sich hinter einem Fass, in dem Salzlake zubereitet wurde, und wartete dort freudig erregt auf den richtigen Augenblick. Doch als Perrine sich zur Speisekammer wandte, vergaß sie ihr kindliches Vorhaben, und erinnerte sich mit einem Mal daran, wie ihre Mutter am Tag der Schlacht beladen mit Vorräten aus dem Keller gekommen war. Was versteckte Justine sonst noch hier?
Die Dienstmagd griff in ihre Tasche und zog einen Schlüssel hervor, den sie ins Schloss steckte. Lautlos schwang die gut geölte Tür auf, und Perrine trat, eine Kerze in der Hand, in die Kammer. Kurz flackerte die Flamme und brannte dann ruhig weiter. Isabelle verließ ihr Versteck und schlich auf leisen Sohlen zu der Tür, die offen geblieben war. Sie beobachtete Perrine noch ein paar Sekunden und fragte sich, ob es richtig war, was sie da tat. Das Dienstmädchen rückte Gegenstände in den Regalen herum. Dann vernahm Isabelle ein vertrautes Plop und darauf ein leises Gluckern. Als sie begriff, das Perrine sich ohne Wissen der Familie selbst bediente, fand sie, dass es ihr gutes Recht war, sie zu stellen, und trat in den kleinen Raum.
Perrine stieß einen verblüfften Aufschrei aus und hätte beinahe den Krug, den sie in den Händen hielt, fallen gelassen. Der Inhalt lief ihr über das Kinn und dann an ihrem Hals hinunter in ihr Hemd. Ein starker Branntweingeruch stieg Isabelle in die Nase.
»Perrine
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