Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
und zog eine Grimasse. Da war sie in ihre eigene Falle gegangen und musste jetzt versuchen, wieder herauszukommen, ohne das Gesicht zu verlieren. Eine leise innere Stimme schalt sie aus. Sie biss die Zähne zusammen, um einen Fluch zu unterdrücken, der Madeleine zum Lachen gebracht hätte.
»Ich glaube, es ist doch nicht so schlimm«, erklärte sie und wich seinem Blick aus.
»Hmmm…«
Dass sie wegen einer solchen Albernheit ihre Tugend aufs Spiel setzte! Wie töricht sie doch manchmal war! Schließlich war sie nicht mehr in dem Alter, in dem sie in den Gassen mit den Knaben Himmel und Hölle oder Verstecken spielte!
»Ich werde einfach langsam gehen, Monsieur Alexander«, stotterte sie und nahm ihren Korb wieder auf. »Vielen Dank für Eure Hilfe.«
»Ihr seid sicher?«
Sie sah zu ihm auf. Er war ein wenig größer als der Durchschnitt der Männer, aber er musste Nicolas um mehr als Haupteslänge überragen… Was tat sie denn jetzt schon wieder? Wie konnte sie diesen Soldaten mit ihrem Verehrer vergleichen? Ja, der Seigneur des Méloizes … Was er wohl von ihren Manieren gehalten hätte? Bestimmt würde er sich für sie schämen.
»Ganz sicher. Lebt wohl, Monsieur.«
Er trat ein paar Schritte zurück und verneigte sich. Die Straußenfeder, die sein Barett schmückte, wippte in der Brise, die mit dem Geruch des Meers gesättigt war. In einem Wirbel aus bunten Farben drehte der Soldat ihr den Rücken, entfernte sich und ging wieder zu seinen Kameraden. Anschließend verschwanden die drei um eine Straßenecke.
Noch ganz aufgewühlt machte Isabelle sich vorsichtig auf den Heimweg.
Im Laufe der folgenden Tage ging Isabelle immer öfter aus. Mit ihrem Korb voller Esswaren entdeckte sie, welches Vergnügen es bereitet, mit den Notleidenden zu teilen. Natürlich konnte sie nicht alle hungrigen Mägen füllen. Aber das Lächeln und die Freudenschreie, mit denen ihre Gaben empfangen wurden, gaben ihr das Gefühl, eine Pflicht erfüllt zu haben. Vielleicht hatte sie auch das Bedürfnis, ihr Gewissen zu erleichtern. Was hatte sie nicht an glasierten Törtchen, Pasteten, Hasenpfeffer, Cremetorten, Crêpes, Brioches und Schmalzgebackenem verschlungen! Ihre Gier hatte sie daran gehindert, die Not, die sie umgab, überhaupt wahrzunehmen.
Oft begleitete Madeleine sie. Wenn sie nach Hause gingen, legten die beiden jungen Frauen häufig einen Umweg über das Palastviertel ein und hielten bei Geneviève Guyon an, wo jetzt Françoise lebte, die mit ihren drei Kindern in die Stadt zurückgekehrt war.
Heute hatte der kleine Luc Schnupfen. Seine Mutter, die im Frühjahr wieder ein Kind erwartete, brauchte eine Ruhepause. Ohne groß darüber zu beraten, boten Isabelle und Madeleine Françoise, deren Augenschatten bei jedem Besuch tiefer wirkten, einen freien Tag an. So verbrachten sie den Rest des Vormittags damit, das Kind zu wiegen und zu unterhalten, und beschäftigten sich am Nachmittag damit, die Kleidung der älteren Kinder, die rasch wuchsen, auszulassen.
Da sie sich nicht von der Dunkelheit überraschen lassen wollten, die um diese Jahreszeit rasch hereinbrach, hielten die Cousinen sich nach dem Abendessen nicht länger auf. Als sie auf die Straße traten, dämmerte es bereits. Mit einer Laterne ausgerüstet, gingen sie schnell, um sich keinen unangenehmen Begegnungen auszusetzen. Vor dem Rennenden Hasen allerdings konnte Isabelle nicht anders, als langsam zu gehen und einen Blick in die brechend volle Taverne zu werfen. Der Besuch dieser Art von Lokalen war ihr ausdrücklich untersagt, doch sie faszinierte sie außerordentlich. Die Stimmung war dort so fröhlich: Lachen und Gesang erklangen und forderten die Vorbeigehenden jedes Mal, wenn die Tür sich öffnete, zum Eintreten auf.
»Komm, Isa. Das ist kein Ort für uns. Los, komm schon! Es wird dunkel…«
»Ich will ja nur ein bisschen zusehen. Daran kann doch wohl nichts Schlechtes sein.«
»Isa, du weißt doch, was dein Vater von solchen Kaschemmen hält! Wenn er davon erfährt …«
»Louis und Étienne besuchen ständig Tavernen! Und außerdem scheinen die Leute sich gut zu unterhalten …«
»Natürlich amüsieren sie sich!«, knurrte Madeleine. »Schließlich wird dort kein Meerwasser ausgeschenkt. Bald werden sie sich auf dem Boden wälzen, bis hinaus auf die Straße.«
Isabelle ignorierte die Schmährede ihrer Cousine, drückte sich die Nase an dem schmutzigen Fenster platt und sah sich neugierig im Schankraum um. Da waren viele Menschen, vor
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