Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
aufgehört, ihm immer wieder zu erklären, er solle sie vergessen, da er wusste, dass es verlorene Liebesmüh war.
Die Sonne ging unter. Die Soldaten kamen zum Abendessen. Er selbst hatte keinen Hunger: Sogar sein Appetit hatte ihn verlassen. Das Einzige, das ihn ein wenig tröstete, war Émilies spontane Art. Seit einigen Tagen traf er sich regelmäßig mit ihr. Die junge Frau verstand ihn, stellte ihm keine Fragen und beschied sich mit dem, was er ihr freiwillig gab. Er stand jetzt regungslos vor der Taverne und zögerte noch einzutreten. Die kleine Dienstmagd arbeitete in der Küche des Lokals und war bestimmt in diesem Moment dort. Sie könnte ihm ein Stück Käse oder etwas anderes geben, wie sie es oft tat. Sein Magen, der es überdrüssig war, nichts anderes als Alkohol verarbeiten zu können, knurrte laut. Er stieß die Tür auf und trat ein.
Die Laterne schaukelte und warf ihren Lichtschein, der die Dunkelheit und die Ratten vertrieb, auf die Straße. Baptiste hatte Isabelle abgeholt und begleitete sie jetzt nach Hause. Bei all den Soldaten, die halb betrunken aus den Tavernen kamen, wäre es nicht klug gewesen, wenn eine junge Frau allein durch dieses Viertel ging. Sie erkundigte sich bei dem alten Diener nach dem Befinden ihres Vaters, doch an dessen schlechtem Zustand hatte sich leider nichts geändert. Wenn sie nur Alexander sehen könnte, und wenn es nur für ein paar Augenblicke gewesen wäre …
Der Rennende Hase lag nur ein paar Schritte entfernt, doch sie wagte nicht, Baptiste zu bitten, er möge sie dorthin bringen. Sie begegnete dem beinahe väterlichen Blick, mit dem er sie maß, und fand sich damit ab, fügsam nach Hause zurückzukehren.
Isabelle trat in die Küche und setzte sich an den Tisch, um sich mit einem Rest kalten Schinkens einen Imbiss zu bereiten. Ihre Mutter war nach oben gegangen, um bei ihrem Vater zu wachen. Ti’Paul schlief bereits. Madeleine und Perrine spielten im Salon Karten. Doch die junge Frau zog es vor, in dem halbdunklen Raum sitzen zu bleiben. Ein köstlicher Duft nach Taubenpastete hing in der Luft. Ein gewaltiger Schwarm Wandertauben 49 war auf den Feldern gelandet, und man hatte in den letzten Tagen Hunderte der Vögel mit Stockschlägen getötet. An ihrem Fleisch würden sich die Stadtbewohner noch einige Zeit ergötzen können. Das Essen für den morgigen Tag stand auf dem Feuer und würde die ganze Nacht hindurch köcheln.
Isabelle schluckte ihren letzten Bissen Brot hinunter und spülte mit Wein nach. Gerade stand sie auf, um nach oben zu gehen und sich schlafen zu legen, als es an der Küchentür klopfte. Verblüfft erblickte sie Schwester Clotilde, die sich in einem völlig aufgelösten Zustand befand. Nachdem sie ihrer Cousine einen Platz angeboten und ihr ein Glas Wein eingeschenkt hatte, erkundigte sie sich danach, was sie so verstört habe. Doch Schwester Clotilde vermochte sich nicht klar auszudrücken, sondern stammelte nur Worte, die kaum einen Sinn ergaben.
Perrine und Madeleine traten ein, von dem lauten Weinen der Ordensfrau alarmiert.
»Was ist denn los?«, verlangte Perrine zu wissen. »Unsere Schwester Clotilde ist ja ganz durcheinander.«
»Ich konnte nur aus ihr herausbringen, dass es Marcelline wohl nicht gut geht.«
»Marcelline?«
»Sie sagt immer wieder, ihre Seele sei verloren. Ich verstehe nicht …«
Als sie das hörte, schluchzte Schwester Clotilde erst recht los und stotterte noch etwas. Madeleine glaubte, endlich verstanden zu haben, und erbleichte.
»O mein Gott!«
Besorgt warf Isabelle ihr einen fragenden Blick zu.
»Wenn ich richtig verstanden habe, ist Marcelline … tot.«
»Was?«, schrie Isabelle und riss entsetzt die Augen auf. »Tot? Marcelline ist tot?«
Die arme, tränenüberströmte Nonne nickte und trank von ihrem Wein.
»Gefunden… heute Abend …«
»Gefunden? Ja, wo denn? Wovon sprichst du, meine Freundin? Erzähl doch endlich, du bereitest uns Sorgen!«
»Jacques, der Wasserträger, hat sie gefunden… an einem Ast des großen Ahorns auf dem Cap Diamant …«
Isabelle wich das Blut aus dem Gesicht. An einem Ast? Nein, sie musste Schwester Clotilde falsch verstanden haben. Doch als sie in die entsetzten Gesichter von Perrine und Madeleine sah, begriff sie, dass Marcelline sich aufgehängt hatte.
So überwältigt war sie von der schrecklichen Nachricht, dass sie sich weigerte, daran zu glauben. Marcelline … Marcelline sollte tot sein? Die junge Frau hatte sich mit den
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